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„Mein Kurzfilm war eine Therapie für mich selbst“

Wie beobachten IranerInnen oder Exil-IranerInnen und Iran-ExpertInnen die Proteste in Iran? Mit einem Fragebogen holen wir Stimmen ein. Diesmal: der Filmemacher Omid Mirnour, der gerade den Kurzfilm „Korruption auf Erden” vorgelegt hat (mehr Infos).



Omid Mirnour (Foto: Woody Baumgärtner)

Die Proteste in Iran halten seit Wochen an. Mit welchen Gefühlen oder Gedanken beobachtest Du diese aktuell?

Für mich ist es immer noch eine Achterbahn von Gefühlen, mit der ich persönlich nun besser umgehen kann als am Anfang der Proteste. Hier sind Gefühle wie Machtlosigkeit, Schmerz, Trauer, Wut auf der einen Seite, aber Hoffnung, Kraft, Mut, Liebe auf der anderen Seite im fliegenden Wechsel in Erscheinung getreten. Für mich ist es ein bisher unbekanntes Gefühlschaos gewesen, was ich dem Ausmaß noch nie für den Iran gespürt hatte. Generationsübergreifende Schmerzen wurden hier aktiviert und ich konnte die negativen Gefühle in Energie umwandeln mich aktiv aus der Ferne am Geschehen zu beteiligen. Wir Diaspora-Iraner waren in der Vergangenheit alle im Standby-Modus, wir hatten alles so hingenommen, wie es ist, und da unsere Eltern ja in ein freies Land geflüchtet sind, haben wir uns extrem auf dieser Bequemlichkeit ausgeruht. Aber die Diaspora-Community ist nun eins geworden und hat gezeigt, dass nur weil wir fern von unseren Ländern sind, es nicht heißt, dass wir dafür nicht kämpfen.

Als Filmemacher war das Erschaffen von Filmen für mich auf der einen Seiten immer ein Ventil, um meine Emotionen zu verarbeiten und auf der anderen Seite ungehörten Stimmen eine Plattform zu bieten. Mein Kurzfilm „Korruption auf Erden“ hat mir persönlich sehr viel gebracht, meine eigenen Emotionen zu dem Thema zu verarbeiten, es war quasi eine Therapie für mich selbst.


Hast Du direkte Kontakte zur Bevölkerung in Iran?

Ja, ich habe direkte Kontakte in den Iran. Eine Person dort hatte erwähnt: Während in vielen anderen Ländern der Welt viele Personen ihren Morgen mit etwas Positivem starten, werden sie schon am Morgen übersät mit Horror-Nachrichten wie zB., dass erneut jemand hingerichtet wurde und bald hingerichtet wird, die es einem unmöglich machen, noch eine gewisse Lebensfreude nach außen hin auszustrahlen. Ein Gefühl der Angst ist nach wie vor präsent in dem Volk, da die Kontrollen der Regierung strenger und brutaler verlaufen. Selbst im Iran lebende Familien von Diaspora-Iraner*innen wird gedroht, dass ihre Familienangehörige im Ausland aufhören sollen, Kritik gegenüber dem iranischen Regime auszuüben.

Auf der einen Seite verspürt das iranische Volk jedoch auch die internationale Solidarität von vielen Bürger*innen in der westlichen Welt. Das haben sie in dem Ausmaß noch nie so erlebt, vor allem, da früher alle medialen Berichterstattungen immer negativ waren, da sich die Medien immer nur auf die iranische Politik fokussiert haben, die zurecht nichts Positives vorzuweisen hat, aber das iranische Volk wurde dabei komplett vergessen. Dass jetzt iranische Frauen im Cover des Times Magazins als „Heroes of the year“ gezeigt werden und weitere Mainstream-Medien sich auf das iranische Volk fokussieren und vom Regime trennen, ist zumindest schonmal gesellschaftlich ein großer Erfolg. Das Ganze führt dazu, dass das iranische Volk sich gestärkt sieht und Mut schöpft, das Terrorregime weiterhin zu bekämpfen.


Wie schätzt Du die aktuelle Situation ein? In welcher Phase sind die Proteste?


Omid Mirnour (Foto: Woody Baumgärtner)

Ich fühle mich als Filmemacher nicht in der Lage, die Proteste in Phasen aufzuteilen und eine detaillierte Analyse darüber zu machen. Das können am besten iranische Expert*innen beurteilen, die im Iran selbst leben und sich mit den gesellschaftlichen Strukturen dort auskennen.

Ich schätze die aktuelle Situation so ein, dass das iranische Volk gesehen hat, was man erreichen kann, wenn man sich zu einer Masse formiert. Dass man der Regierung eben doch die Stirn bieten kann und sich nicht noch weiter unterdrücken lassen muss. Viele iranische Bürger*innen schweigen, trotz extremer Drohungen und Folter, nicht mehr und stehen für ihre Meinung ein. Immer mehr Prominente wie Musiker*innen, Filmemacher*innen, Sportler*innen etc. drehen öffentliche Statements und stellen sich auf die Seite des Volks und werden natürlich leider kurze Zeit danach verhaftet und/oder bedroht. Aber viele Iraner*innen sind eben bereit, hinter Gitter gesperrt zu werden oder sogar ihr Leben zu geben für die große Sache, und das empfinde ich als bewundernswert. „Wir gehen für unsere Träume in den Knast. Für uns gibt es keine Freiheit, weder hinter noch vor den Gefängnisgittern“, hat der iranische Rapper Fadaei in einem Song performt.


Zum Jahresende haben sich Stimmen gemehrt, dass der Aktivismus in der iranischen Diaspora zur Unterstützung der Revolution kriselt oder gar stagniert. Dass es ein Diskurs unter IranerInnen und Exil-IranerInnen geblieben ist. Teilst Du diese Einschätzung?

Ich denke, es ist völlig normal, dass es kein Dauerhoch bei so einer langanhaltenden Revolution geben kann. Es ist vielmehr ein langer Prozess des Umdenkens, der Zeit benötigt, bis es bei allen ankommt und weitere Menschen Schritt für Schritt mitziehen. Für viele von uns ist diese Situation völlig neu und wir müssen lernen, wie wir am besten mit unseren Energien & Gefühlen umgehen.

Da ist auch das Filtern von Informationen und der sinnvolle Einsatz seiner Kraft mehr als notwendig.

Zu Anfang war ich zB. noch auf jeder Iran-Demo in Berlin vertreten, ich habe mir von morgens bis abends auf verschiedenen Social-Media Kanälen die ganzen Videos aus dem Iran angeschaut und für mein deutsches Umfeld übersetzt und eigeordnet, habe bei der Organisation von iranischen Themenabenden mitgeholfen, habe eigene iranische Medienprojekte konzipiert und umgesetzt, war Ansprechpartner für viele Nicht-Iraner, die meine Meinung oder eine allgemeine Einordnung haben wollten oder mich in ihre Iran-Projekte involviert haben, und alles natürlich ehrenamtlich. So habe ich mich aber schnell energielos gefühlt. Es bringt niemanden etwas, wenn wir auslaugt von dem einen Iran-Themenabend zur nächsten Iran-Demonstration hetzen, während wir noch mit unserer letzten Energie eigene Iran-Projekte machen und schon die nächsten Events planen. Jetzt gehe ich wesentlicher bewusster mit der Zeit um, in der ich mich über die aktuelle Situation informiere, in der ich auf Themenabende oder Demos gehe, in der ich eigene mediale Beiträge erstelle etc.


Während der Dreharbeiten zum Kurzfilm: Omid Mirnour (Foto: Woody Baumgärtner)

Diese Revolution benötigt Menschen mit einer langen Ausdauer und die ihren Fokus nicht verlieren. Da ist es absolut nicht schlimm, wenn man sich phasenweise auch mal zurückzieht und etwas Ruhe benötigt, aber Hauptsache man kommt dann gestärkt und voller Energie wieder zurück. Man darf außerdem nicht vergessen, dass die meisten ja auch einen Vollzeit-Job nebenbei haben und viele weitere eine Familie versorgen müssen.

Für meinen Iran Kurzfilm „Korruption auf Erden“ habe ich zum Beispiel drei Monate in Vollzeit benötigt, um ihn zu realisieren. Dadurch habe ich alle anderen bezahlten Projekte abgelehnt, damit ich meinen Fokus nur auf den Film halten kann. So eine Entscheidung macht sich natürlich finanziell extrem bemerkbar, gerade bei steigenden Kosten in allen Lebensbereichen. Und so geht es vielen Aktivisten*innen, die teilweise tief in die Tasche greifen, um gewisse Projekte zur Iran Revolution realisieren zu können. Diese genannten Faktoren spielen alles eine Rolle, warum meiner Meinung nach der Aktivismus etwas nachgelassen hat.

Mit einem Sponsoren-Netzwerk von Firmen oder vermögenden Privatpersonen, welche Aktivismus Projekte auch finanziell unterstützen können, würde es nicht nur die Aktivisten*innen entlasten, sondern auch langfristig mehr solcher Projekte im Sinne der Iran-Revolution fördern.


Die westlichen Medien würdigen zwar in den Jahresrückblicken die Revolutionsbewegung, die Berichterstattung scheint aber insgesamt an Intensität abzunehmen. Was tun?

Auch das empfinde ich als normal, da die Medien hier leider so programmiert sind. Irgendwann ist ein Thema für die Medien einfach abgehakt, auch wenn es täglich neue Meldungen dazu gibt. Die 5000 km Ferne zum Iran und das „Fremde“ in der anderen Kultur sind natürlich weitere Faktoren, die westlichen Medien das Interesse verlieren lassen, hierüber intensiv zu berichten.

Was wir als Privatpersonen jedoch tun können, ist weiterhin über das Thema zu berichten und aufmerksam zu machen. Gerade Medienschaffende sollten sich hier zusammentun und neue Wege des Erzählens über die Iran Revolution finden.

Originale Handyaufnahmen aus dem Iran, Informationshäppchen und grafische Infotabellen können mit der Zeit als uninteressant & abschreckend wirken. Als Filmemacher sehe ich mich in der Pflicht, hier weiter Content zu kreieren. Ich habe ich die Motivation, visuell stark zu erzählen und komplexe Themen für Zuschauer in wenigen Minuten verständlich, aber trotzdem emotional, darzustellen. Gerne will ich die deutsche Kultur-und Medienschaffende dazu bringen, noch mehr gemeinsame Kollaborationen zu machen, um weitere Medien wie Filme, Ausstellungen, Fotografien, Installationen etc. zu kreieren, damit die Aufmerksamkeit über die Iran-Revolution weiterhin bestehen bleibt.

Wir brauchen hier ein starkes Netzwerk an Medienschaffenden und Investoren, damit die Ausgaben nicht an den Aktivisten*innen hängen bleiben. Gut produzierte mediale Inhalte schaffen es auch weiterhin, die Awareness für das Thema beizubehalten. Ich selbst hätte zum Beispiel einige Ideen für weitere Filme oder Kampagnen in Bezug auf die aktuelle Revolution, wofür es Investoren benötigt. Support von großen Streamingdienstanbietern, TV-Sendern und Produktionsfirmen, welche die produzierten Beiträge dann auf ihren Plattformen veröffentlichen oder evtl. sogar ko-produzieren, sind enorm wichtig.



Omid Mirnour (Foto: Woody Baumgärtner)

Was kann das nächste Etappenziel sein, das die AktivistInnen im Ausland ansteuern?

Eine wichtige Etappe ist es, weiterhin eine Einheit zu bilden und uns nicht spalten zu lassen. Denn Letzteres würde der iranischen Regierung in die Hände spielen. Ich denke, man muss auch akzeptieren, dass jeder einen eigenen Umgang hat aktiv zu sein, während der eine lautstarke Parolen auf Demos ruft, fühlt sich die andere Person wohler damit, sich außerhalb der Öffentlichkeit zu engagieren. Nur gemeinsam können wir unser Ziel erreichen, das korrupte, menschenverachtende Regime der islamistischen Republik von Iran zu stürzen.


Bekannte iranische Regimegegner wie der frühere Kronprinz Reza Pahlevi, die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, die Frauenrechtlerin Mahsi Alinejad, die Schauspielerin Golshifteh Farahani und der Aktivist Hamed Esmaeilion haben offenbar ein neues Oppositionsbündnis gegründet. Wie schätzt Du die Perspektiven ein?

In erster Linie finde ich es gut, dass es einen Austausch gibt und dass andersdenkende zusammen an einen Strang ziehen. Kommunikation und Organisation untereinander ist extrem wichtig. Es lässt sich darüber streiten, ob eine Person, deren Vater bereits sehr viel Leid über das iranische Volk gebracht hat und einer der Auslöser für die 1979-Revolution war, ein geeigneter Vertreter für eine Opposition ist, aber solange es als Bündnis gemeinsam mit anderen Personen geschieht, finde ich diese Art von Austausch gut.

Ich bin gespannt, welche gemeinsamen Ziele verfolgt werden und was auf der Agenda steht.

Meiner Meinung nach sollten jedoch die im Iran lebenden Menschen hier entscheiden, welche Form einer Opposition sie am geeignetsten finden und welche sie wählen würden nach dem Sturz der iranischen Regierung.

Wir dürfen nämlich nicht erneut den Fehler unserer Elterngeneration von 1979 machen, dem Volk blind einen Regierungsführer aus dem Exil vorsetzen, welcher das Land dann in den Ruin treibt. Es wird sehr lange dauern, dieses Land wieder aufzubauen und neu zu formen, aber es gibt nichts, was wir uns mehr wünschen.


Was ist Deine Prognose: In welche Richtung wird sich Iran bzw wird sich der Aufstand in den kommenden Monaten entwickeln?

Ich bin voller Zuversicht, dass es ein point-of-no-return ist. Es wird nie wieder so sein wie zuvor. Die im Iran aus dem Fenster ihrer Wohnung schreienden „Marg bar Khamenei“ („Tod für Khamenei“) Rufe werden immer lauter. Das Feuer der explodierenden Molotov-Coktails, welche auf Regierungsgebäude geschmissen werden, entfachen sich immer heller. Die Haare der Frauen, welche ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit wehen, werden immer mehr. Student*innen und Schüler*innen, welche die obligatorischen in jedem Klassenzimmer hängenden Fotos von den angeblichen Revolutionsführern zerstören, werden immer häufiger. All das wird zu unserem Ziel führen, selbst wenn es noch Jahre dauern sollte.



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