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„Die Zerstrittenheit ist für Außenstehende ein Problem“

Shoura Hashemi (Twitter, Instagram) ist eine der aktivsten Berichterstatterinnen der Revolution im Iran. Die heute 40-Jährige kam mit fünf Jahren mit ihrer Familie aus dem Iran nach Österreich. Hashemi hat in Wien Jura studiert und ist dort heute im Außenministerium im diplomatischen Dienst tätig. Ein Gespräch über ihren Aktivismus, die Entwicklung der Revolution, den Streit in der Diaspora und Perspektiven des Atomabkommens. Foto: Christopher Glanzl.




Seit gut sechs Monaten klärst Du unermüdlich über die Lage im Iran auf – wie bekommst Du das mit deinem Job bewältigt?

Ich bin tatsächlich ununterbrochen online. Außer Arbeiten und dem Dokumentieren der Iran-Revolution mache ich nicht mehr viel. Das Gute ist, dass ich durch meinen Beruf ohnehin viel machen muss, um mich regelmäßig über politische Ereignisse zu informieren. So kann ich das eine mit dem anderen sehr gut vereinen. Das Posten und Aufbereiten der Videos mache ich dann verstärkt abends. Da arbeite ich oft stundenlang bis Mitternacht durch. Was dadurch natürlich zu kurz kommt, ist das Sozialleben. Das existiert seit sechs Monaten einfach nicht mehr.


Kommst Du dazu, Dich auch mal zu erholen?

Ja, am Wochenende nehme ich mir dafür etwas Zeit. Aber ich schaue trotzdem, dass ich immer informiert bin und keine wichtigen Nachrichten verpasse. Es ist für mich wichtig, dass ich immer auf dem neuesten Stand bin, auch, weil ich oft eingeladen werde und dafür immer auf dem neuesten Stand sein möchte in Bezug auf den Iran, zum Beispiel, was das Atomabkommen oder aktuelle Sanktionen betrifft. Da versuche ich mich stets weiterzubilden.



„Ich versuche, mich aus Streitigkeiten innerhalb der Diaspora herauszuhalten“


Du hast auch viele persönliche Quellen im Iran für deine Recherchen, richtig?

Das hat sich tatsächlich sehr gut entwickelt in den vergangenen Monaten. Ich habe mir inzwischen ein großes Netzwerk aufgebaut mit persönlichen Kontakten und auch Menschen, die mich aus dem Iran anschreiben - und auf die ich mich als Quelle verlassen kann. Für das Verifizieren von Videos und Nachrichten ist es sehr wichtig, um nachzuhaken, was tatsächlich im Iran passiert und sich ein Bild zu verschaffen. Mittlerweile ist mein Netzwerk so angewachsen, dass ich aus allen Landesteilen des Iran und von Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten im Iran kontaktiert werde. Das ist für das Recherchieren eine riesige Hilfe.


Du wirst vor allem für deine sehr objektive Berichterstattung gelobt – hast du das journalistische Handwerk gelernt?

Nein, ich bin studierte Juristin und seit 15 Jahren im österreichischen Außenministerium tätig. Durch meinen Job im diplomatischen Dienst lernt man allerdings, grundsätzlich mit verschiedenen Meinungen, Strömungen, Quellen und Partnern umzugehen. Ich war zum Beispiel in Genf auf Posten bei den Vereinten Nationen ständig in verschiedenen Sitzungen mit unterschiedlichsten Gesprächspartnern – da lernt man natürlich schon, mit dem Gegenüber diplomatisch und offen umzugehen, ohne jemanden an den Pranger zu stellen. Deswegen versuche ich mich vor allem auf die Bewegung und die Revolution im Iran zu konzentrieren und mich aus Streitigkeiten innerhalb der Diaspora herauszuhalten, weil ich merke, dass das sehr viel Zeit kostet – diese Zeit investiere ich lieber in meine Recherchen.


„Die Rolle der Sozialen Medien in dieser Bewegung kann man gar nicht überschätzen“

Was ist an der aktuellen Bewegung anders, als in den Unruhen davor, die es im Laufe der Jahre im Iran immer wieder gegeben hat?

Zum einen ist neu, dass die Proteste in dieser Bewegung dezentral sind. Sie sind zwar organisiert, aber sie haben im Iran keine politischen Köpfe, die da ganz oben stehen und die Bewegung steuern. Das ist ein großer Unterschied zu den Bewegungen davor, zum Beispiel der Grünen Bewegung 2009. Und das andere sind die Sozialen Medien als Katalysator, die die Menschen im Iran nutzen, um auf sich und die Zustände im Iran aufmerksam zu machen. Diese digitale Aufbereitung der Proteste ist stärker, vernetzter, transparenter und schneller als die Aufstände davor. So kann man auch intern einen großen Teil der Gesellschaft im Iran erreichen und mitnehmen. Die Menschen sind digital sehr aktiv: Die Generation Z weiß ganz genau, was außerhalb des Iran passiert. Sie will dabei sein, will daran teilhaben – ich glaube, die Rolle der Sozialen Medien in dieser Bewegung kann man gar nicht überschätzen.


Wie siehst du die Entwicklungen des Westens in Bezug auf den Iran innerhalb der letzten Monate?

Insgesamt finde ich, dass der Westen die Entwicklung im Iran in den letzten Jahren komplett verschlafen hat. Da haben Regierungen Ideen entwickelt, die überhaupt nicht einher gehen mit der sehr rasanten Entwicklung der vor allem jungen Generation im Iran. Vor der Ermordung von Jina Mahsa Amini stand vor allem das Atomabkommen im Fokus, das durch den Austritt der USA 2018 eine Zeit lang ins Stocken geraten war. Nach dem Tod von Amini und den anfänglich großen Protesten hatte ich das Gefühl, dass Länder wie Deutschland und Frankreich zunächst tatsächlich an einen Sturz der Mullahs geglaubt haben. Inzwischen sind sie wieder abgerückt von dieser Position und erneut in die Zurückhaltung gegangen. Sie vertrauen der Revolution nicht zu 100 Prozent, warten die Entwicklungen lieber ab und versuchen das Atomabkommen wieder zu beleben.


„Im Iran funktioniert die Revolution anders“

Warum glaubst Du, sind sie abgerückt?

Weil im Westen die Haltung vorherrscht, dass eine Revolution nur dann erfolgreich sein kann, wenn es in einem Land Monate lang zu Massendemonstrationen und großen Protesten mit Millionen Menschen auf den Straßen kommt, so wie sie das zum Beispiel aus Zeiten der Revolution der DDR kennen. Im Iran funktioniert die Revolution aber anders. Dort ist die Revolution ein Prozess, der auf- und abgeht, und der sich nicht permanent in Straßendemonstrationen zeigt. Das scheint für westliche Regierungen schwer zu akzeptieren, dass Proteste auf den Straßen auch für einen Moment mal stocken und in andere, stillere Protestformen übergreifen. Sie wissen, dass es im Iran brodelt und jederzeit wieder hochfahren kann - aber solange sich Proteste für sie nicht in ganz konkreten Bildern zeigen, glauben sie nicht hundertprozentig daran.


Wie ist die Stimmung in der österreichischen Diaspora? Sind die Menschen da ähnlich zerstritten wie in Deutschland?

Das ist ganz ähnlich wie in Deutschland. Wir haben in Österreich eine teils sehr alt eingesessene iranische Diaspora, die schon vor der Revolution 1979 ins Exil gekommen ist – und wir haben auch zwei große Lager aus Linken und Monarchisten, die in erster Generation überhaupt nicht miteinander können. Das wird in zweiter Generation schon etwas besser. Und inzwischen gibt es auch eine große Gruppe von Iranern mit demokratischen, säkularen Gedanken in der Mitte.


„Diese Zerstrittenheit in der Diaspora ist für Außenstehende ein Problem“

Ist diese Zerstrittenheit nicht auch ein verwirrendes Signal an die Politik?

Das ist tatsächlich auch die Rückmeldung, die ich bekomme – aus der Politik wie auch von Medien und Berichterstattern: Diese Zerstrittenheit ist für Außenstehende ein Problem, sich zu orientieren und sich der Iran-Thematik mehr anzunehmen. Viele steigen da nicht mehr durch und wünschen sich mehr Einheit unter den Iranern.


Für politische Streitigkeiten wäre nach dem Erfolg der Revolution ja noch genug Zeit.

Es ist im Moment einfach nicht im Sinne der iranischen Bevölkerung, dass innerhalb der Diaspora so viel Uneinigkeit herrscht. Das, was mir aus dem Iran vermittelt wird, ist, dass diese Revolution weder eine linke noch eine rechte Revolution ist, sondern es um viel fundamentalere Werte geht: Nämlich um Freiheit und Demokratie. Viele Menschen im Iran können überhaupt nicht nachvollziehen, dass so viele Iraner in der Diaspora, die so viele Jahrzehnte schon nicht mehr im Iran leben, diese Revolution so für sich und ihre Streitigkeiten vereinnahmen. Das ist sehr schade.


Terrorlistung: „Die westlichen Staaten haben Angst vor wirtschaftlichen Folgen, Flüchtlingsströmen und chaotischen Zuständen im Nahen Osten“

Kannst du dir vorstellen, dass so wichtige Entscheidungen wie die Terrorlistung der Revolutionsgarden auch auch aus Angst und Unsicherheit nicht erfolgen?

Natürlich steckt da eine große Angst hinter. Die westlichen Staaten haben Angst vor wirtschaftlichen Folgen, Angst vor Flüchtlingsströmen und auch Angst vor unkontrollierbaren, chaotischen Zuständen im gesamten Nahen Osten, die sie nicht einschätzen können. Und natürlich sehen sie auch die atomare Bedrohung, die ihnen Sorgen macht.


Wie könnte man ihnen diese Angst nehmen?

Wenn die Revolution sich wieder auf den Straßen abspielt und der Westen das Gefühl bekommt, dass die Proteste dort in großem Ausmaß weiter gehen.


Es werden in diesen Tagen seitens des Westens große Bemühungen unternommen, das Atomabkommen wieder aufleben zu lassen. Wie darf man das verstehen?

Grundsätzlich steckt hinter diesen Bemühungen die Angst vor einer Eskalation mit dem Regime im Iran – gleichzeitig muss man dazu aber auch wissen: Im Iran selbst und in den Reihen der Regierung gibt es auch unterschiedliche Auffassungen und Streitigkeiten über die Wiederaufnahme des Atomabkommens. Da streiten sich die Hardliner, aktuell unter Präsident Raisi, mit den Reformern im Iran schon seit Jahren. Man muss also ohnehin abwarten und schauen, ob das Regime sich auf das Abkommen wieder einlassen würde, auch wenn der Westen noch so schlechte vertragliche Bedingungen hinnimmt. Da wird auf allen Seiten hinter der Kulissen verhandelt und geredet – und man darf dabei auch Israel nicht außer Acht lassen, denn Israel wird sich durch die unmittelbare atomare Bedrohung des Iran definitiv schützen. Wenn der Iran so weit sein sollte, Israel tatsächlich anzugreifen, wird es sich mit gezielten Aktionen zu wehren wissen.


„Der Prozess wird die Mullahs überrollen“

Glaubst du, die Revolution wird erfolgreich sein?

Davon bin ich überzeugt. Ob das in unmittelbarer Zeit passiert, kann ich nicht beurteilen, weil das Regime mit seinen Streitkräften noch gut aufgestellt ist. Aber der Prozess wird die Mullahs überrollen, weil er einfach stärker ist. Die Menschen sind nicht mehr aufzuhalten, das sehen wir auch daran, dass sie sich trotz der brutalen Repressalien und zehntausenden Inhaftierungen nicht mehr einschüchtern lassen: Eine Rückkehr zum Status Quo vor dem Tod von Jina Mahsa Amini wird es nicht mehr geben.


Was kann die jetzige Exil-Opposition dazu beitragen?

Ich glaube sehr daran, dass diese Opposition einen großen Beitrag dazu leisten kann. Es liegt jetzt an den westlichen Regierungen, dieser Opposition mehr Legitimität zu verleihen, indem man mit den Mitgliedern in den Austausch und ins Gespräch geht, so wie auf der Münchener Sicherheitskonferenz – und ihnen zeigt, dass man sie ernst nimmt. Das setzt zum einen das Regime enorm unter Druck und bestärkt zum anderen die Opposition, den Übergang des Irans nach der Revolution administrieren zu können. Ich finde es gut, dass es diese Opposition gibt und dass sich dort sehr viele unterschiedliche Persönlichkeiten mit ihren Möglichkeiten für die Sache zusammengetan haben. Daher wünsche ich mir auch mehr Rückhalt von der Diaspora für diese Exil-Opposition.


Wünscht Du Dir auch etwas von der westlichen Berichterstattung?

Ja, ich wünsche mir den gleichen sensiblen Umgang mit iranischen Staatsmedien wie man ihn auch inzwischen mit russischen Staatsmedien pflegt. Entweder übernimmt man erst gar nichts von ihnen – oder fügt zumindest immer den Verweis dazu, dass es sich um staatliche Propagandamedien handelt, denn im Iran gibt es nun mal keine freie Presse. Wir dürfen diese Meldungen, die von dort kommen, nicht einfach 1:1 übernehmen, sondern müssen sie immer hinterfragen.


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