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„Wir wussten, dass dieser Tag kommen wird“

Gazelle Sharmahd ist die Tochter des 2020 entführten Jamshid Sharmahd (67), der als deutscher Staatsbürger seit mehr als 900 Tagen in Isolationshaft im Iran sitzt und jetzt in Teheran zum Tode verurteilt wurde. Sie lebt mit ihrer Familie in Los Angeles.


Ihr Vater war im Juli 2020 unterwegs auf einer Geschäftsreise von Deutschland nach Indien, als er in Dubai einen Zwischenstopp einlegte - von dort wurde er vom iranischen Geheimdienst in den Oman entführt und in den Iran verschleppt. Seitdem macht Gazelle unermüdlich auf den Fall ihres Vaters aufmerksam. Wir hatten Anfang des Monats schon einmal mit ihr ein Gespräch. Jetzt folgt das Update.


Liebe Gazelle, wie hast du von der Nachricht erfahren, dass das Todesurteil gegen Deinen Vater ausgesprochen wurde?


Gazelle mit ihrem Vater Jamshid Sharmahd

Es war zu unserer Zeit in Los Angeles ungefähr 2 Uhr morgens, als das Urteil gesprochen wurde. Gegen 5 Uhr weckte mich mein Mann mit der Nachricht. Was danach passiert ist, kann ich gar nicht mehr genau sagen. Das war wie ein Schock. Ich weiß nur noch, dass es unzählige Nachrichten und Anrufe auf meinem Handy gab. Ich habe dann zufällig den Anruf von Mariam Claren angenommen, deren Mutter Nahid Taghavi ebenfalls im Iran in Geiselhaft ist. Wir kennen uns schon etwas länger und Mariam hat zunächst berichtet, was in diesen Stunden bereits passiert war in Deutschland, um auf das Urteil aufmerksam zu machen.


Die Nachricht hier ist sehr schnell herumgegangen und hat viele Reaktionen hervorgerufen.

Ja, absolut. Wir wussten, dass dieser Tag kommt. Wir wussten, dass das Regime es auf das Leben meines Vaters abgesehen hat. Aber als es dann so weit war, war es ein totaler Schock. Ich kann das immer noch nicht glauben, dass es jetzt so weit ist. Mariam und ich haben kurz am Telefon geweint, aber dann beschlossen, uns aufzuraffen und zu kämpfen. Das ist das Einzige, was wir machen können.


Glaubst du, der Zeitpunkt des Urteils hat einen strategischen Hintergrund?

Ja, hundertprozentig. Genau an dem Wochenende davor hatte die Sicherheitskonferenz in München stattgefunden, da war die Opposition und nicht das Regime eingeladen. Danach waren Zehntausende Menschen in Brüssel, um dafür zu demonstrieren, dass die IRGC endlich auf die EU-Terrorliste gesetzt wird und es gab neue Sanktionen. All diese Aktionen gegen das Regime, all dieser Zusammenhalt, hat dem Regime Angst gemacht. Deswegen haben sie das Todesurteil in einem weiteren Scheinprozess in Eile ausgesprochen – um ein Zeichen ihrer Macht zu setzen.


Macht gegenüber wem genau?

Macht gegenüber all den Aktivisten, denen das Regime zeigen will, dass es jeden entführen, verschleppen, inhaftieren, foltern und hinrichten kann, wenn es das will, egal welche Staatsbürgerschaft die Gegner haben. Und Macht auch gegenüber dem Westen, um ihn zu warnen, sich nicht abzuwenden, zurückzukommen an den Verhandlungstisch und es nicht zu wagen, die Revolutionsgarde auf die Terrorliste zu setzen. Deswegen kam das Urteil nach genau diesem Wochenende als politisch-strategisches Signal. Es ist unbestritten, dass sie meinen Vater töten wollen, aber so lange sie ihn als Druckmittel benutzen können, ist er ihnen lebend noch etwas wert.


Ist das Urteil also nur ein Bluff?

Nein, das glaube ich nicht. Sie wollen meinen Vater schon seit Jahren töten – und dass sie dazu in der Lage sind, zeigt der Fall von dem Journalisten Ruholla Zam, den das Regime 2019 aus Frankreich in den Irak lockte, dann in den Iran entführte und später tatsächlich hinrichtete. Die meinen das ernst mit meinem Vater. Eine Hinrichtung könnte jederzeit passieren.


Was kann man noch tun?

Wir müssen weiter laut bleiben, auch wenn die Geschichte in den Medien wieder abebbt. Wir Iraner müssen weiterhin auf meinen Vater aufmerksam machen. Denn sobald eine Ruhe einkehrt, war’s das für meinen Vater. Vor allem, wenn sie sehen, dass Deutschland sich nicht für meinen Vater einsetzen will nach deren Regel, wird er ihnen auch als Schachfigur nichts mehr wert sein, sondern mehr als Druckmittel eingesetzt, um die Opposition einzuschüchtern: Dann wird er hingerichtet. Die haben kein Problem damit, andere Staatsbürger zu töten. Das ist ihnen egal.



Was erwartest Du?

Ernsthafte Konsequenzen von der Bundesrepublik, Europa und dem Westen allgemein. Wir müssen auf diese Bedrohung entsprechend reagieren. Die Ausweisung zweier iranischer Diplomaten seitens der deutschen Regierung, ist ein sehr guter Anfang, wenn auch etwas spät – aber er ist richtig. Und es muss jetzt die maximale Eskalationsstufe erreicht werden, um das Leben meines Vaters zu retten. Wir müssen etwas tun, bevor das Blut meines Vaters geflossen ist. Und nicht hinterher. Ich erwarte mehr Taten als Worte. Unsere Staatsbürger müssen dort rausgeholt werden. Das ist deren Pflicht. Und natürlich muss sich auch für die anderen unzähligen Menschen eingesetzt werden, die vom Regime unschuldig inhaftiert sind. Wir können dieses Unrecht nicht länger gewähren lassen.



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