In Deutschland erinnert man sich an den letzten Schah als „brutalen Diktator“. Doch das war nicht immer so. Die frühere Journalistin und spätere Linksterroristin Ulrike Meinhof führte in einem Beitrag (1967) ganz erstaunt aus, dass sie gedacht habe, dass der Schah „einfach ein schöner Mann mit einer schönen Frau und einer glücklichen Familie in einem glücklichen Land“ sei. Was also hatte dazu geführt, dass der Westen das urplötzlich anders sah?
Dieser Artikel dient einer Art Gegenüberstellung zwischen den diffusen negativen Eindrücken von Schah Mohammad Reza Pahlavi als „bösen Diktator“ und einem der wichtigsten Aspekte seines politischen Wirkens: Die „Weiße Revolution“ oder auf Persisch auch bekannt als „Die Revolution des Schahs und des Volkes“. Sie ist deshalb so wichtig, weil sie die politischen Leitmotive und Werte verdeutlicht, denen sich die Pahlavi-Könige verpflichtet fühlten. Die Gegner der Reformen waren in der Regel keine menschenrechtsorientierten Demokraten, denen lediglich eine andere politische Meinung inhärent war, sie stellten sich vielmehr gegen Reformen, die der Mündigkeit von Landwirten, den Frauenrechten sowie der Modernisierung und dem Wohlstand Irans dienten. Und um Reformen zu verhindern, war jedes Mittel recht.
Das Sechs-Punkte-Programm der „Weißen Revolution“
Die „Weiße Revolution“ drückte den Wunsch des Schahs nach einer neuen Ära und der Schaffung notwendiger Wege und Strukturen für die Moderne aus.
Das Reformprogramm bestand aus sechs Säulen, die später auf zwölf erweitert wurden:
(1) Abschaffung des Feudalsystems und die Verteilung des Ackerlands von den Großgrundbesitzern an Landwirte
(2) Verstaatlichung von Wald- und Weidefläche
(3) Privatisierung staatlicher Industrien zur Finanzierung von Entschädigungszahlungen an die Großgrundbesitzer
(4) Gewinnbeteiligung für Arbeiter und Angestellte von Unternehmen
(5) Allgemeines aktives und passives Wahlrecht für Frauen
(6) Bekämpfung des Analphabetentums durch den Aufbau eines Hilfslehrerkorps
Zu seiner Neujahrsansprache an die Nation im Jahr 1963 betonte der damalige Schah grundlegende soziale Rechte für alle IranerInnen. Er erklärte das Recht auf eine angemessene Existenzgrundlage, die aus Grundsicherung, angemessene Wohnverhältnisse, Bildung und Gesundheitsversorgung bestanden. Auf dem Nationalkongress der Landwirte trug er überzeugend vor, dass der Verdienst eines jeden Iraners ausreichen müsse, um die oben genannten Grundsicherung für seine Familie gewährleisten zu können. Für den Fall, dass dies nicht möglich wäre, müsste der Staat sozialfürsorglich einspringen und basale Hilfen leisten.
Die Realisierung der „Weißen Revolution“ würde jedoch zur Unzufriedenheit und zu Widerstand der Geistlichkeit und Großgrundbesitzer führen, das wusste der Schah. Um die Durchsetzung seiner Reformen zu sichern, strebte er eine Bevölkerungsmehrheit hinter sich an, um sich gegen die Großgrundbesitzer, die aus Verwandten- und Dunstkreis der Qajaren bestanden, legitim behaupten zu können. Auch die islamischen Institutionen der Kleriker erwiesen sich als vehemente Gegner seiner Modernisierungsbestrebungen sowie der gerechten Verteilung von Gütern des Landes auf die iranische Bevölkerung. Dieser massive Widerstand gegen das Wohl einer ganzen Nation setzte sich bis zur Islamischen Revolution 1979 fort.
Die Volksabstimmung und der Widerstand
Wie wichtig dem letzten Schah Irans diese Reformen waren, wird durch seine Erklärung deutlich, die er vor der Volksabstimmung vortrug. Er erklärte, dass er verhindern wolle, dass „unsere Bauern jemals wieder Leibeigene werden (…), dass die Bodenschätze unseres Landes nicht nur einigen wenigen nützlich sind (…), dass revolutionäre Veränderungen und Reformen nicht mehr durch den Widerstand einiger weniger blockiert oder zerstört werden dürfen (…).“
Ayatollah Khomeini, damals schon ein einflussreicher Kleriker, reagierte auf die angestrebte Stärkung der Frauenrechte und der Alphabetisierungsreformen wie auf eine direkte Bedrohung für den schiitischen Islam. Er rief zum Boykott der Teilnahme am Referendum auf, indem er die Reformen als „Angriff gegen Gott“ deklarierte. „Wahrhaftige Muslime“ sollten nicht an der Volksabstimmung teilnehmen.
Und dennoch: Am 26. Januar 1963 stimmten 5,5 Millionen IranerInnen für und nur etwa 4000 gegen das Reformprogramm.
Khomeinis scharfe Worte: Gewalttätige Ausschreitungen im Juni 1963
Die Reaktion von Khomeini auf diese Niederlage erfolgte prompt. Im Kontext der schiitischen Aschura-Festlichkeiten hielt er am 3. Juni 1963 eine Rede in der heiligen Stadt Qom. Er griff den Schah und Israel harsch an und erklärte, dass die Regierung des Schahs gegen den Islam gerichtet sei. Er ergänzte, dass Israel dagegen sei, dass im Iran die Gesetze es heiligen Korans gälten; und Israel sei es, das gegen die Geistlichkeit des Landes agiere. Eindringlich und mit dystopischen Zukunftsvisionen forderte der radikale Geistliche den Schah dazu auf, von den gottlosen Reformen abzulassen.
Auf die aggressive Rede Khomeinis hin kam es zu gewaltgeprägten Ausschreitungen der Massen in Qom, Shiraz, Teheran und Maschhad, die sich nach Khomeinis Festnahme am 5. Juni 1963 hin intensivierten. Die Ausschreitungen gingen so weit, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen Khomeinis Anhängern und dem iranischen Militär kam.
Schwer vorstellbar, dass die Gruppierungen, die sich damals mit den Islamisten zusammentaten, um den Schah zu stürzen und den Weg für Khomeini zu ebnen, nicht gewusst haben wollen, was Khomeini für ein Mensch und was sein Ziel war. Seine Aufrufe und Reden, seine internationalen Feindbilder und die Reformen, gegen die er mit Vehemenz vorzugehen versuchte (Bildung für Frauen, Frauenwahlrecht), konnten nicht missverstanden werden. Rückblickend werden die Proteste im Juni 1963 als Geburtsstunde der Islamischen Revolution (1979) bezeichnet.
Nach Khomeinis Verhaftung war es der Chef des Geheimdienstes SAVAK, Hasan Pakravan, der sich dafür aussprach, dass der Geistliche nach seiner scharfen Hetze und den gewalttätigen Ausschreitungen nicht wegen Hochverrats exekutiert, sondern lediglich ins Exil geschickt werden solle. Pakravan und der Premierminister Hasan Ali Mansur argumentierten, dass man der Geistlichkeit Zeit geben müsse, eine Akzeptanz für die mit der „Weißen Revolution“ einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen zu entwickeln. Eine Exekution würde Khomeini jedoch zum Märtyrer machen. Der Schah ließ sich von diesen Argumenten überzeugen und schickte Khomeini ins Exil.
Das Schicksal erwies sich jedoch als mieser Verräter: Hasan Pakravan, der Khomeini noch durch seine Empfehlung vor der Hinrichtung bewahrte, wurde 1979 von Khomeinis Revolutionsgericht hingerichtet.
Die Landreformen und ihre Ziele
Davon abgesehen, dass die Reformen zu Verbesserung von Frauenleben und -rechten in Form von Bildung und systematischen Hilfen dazu führten, dass insbesondere die radikale Geistlichkeit den „Anstand“ und die „Abhängigkeit der Frau vom Manne“ in Gefahr sah, ihre Emanzipation für sie gleichbedeutend „Prostitution“ war und kommunistische Gruppierungen sich diesbezüglich mit den Klerikern zusammentaten, bäumten sich zusätzlich andere Nutznießer des damaligen Status Quos gegen die Landreform auf.
Zum damaligen Zeitpunkt arbeiteten dreiviertel der iranischen Bevölkerung in der Landwirtschaft. Um deren Lebenssituation deutlich zu verbessern, mussten die bis dahin tragenden Säulen und Strukturen verändert werden. Dazu war es notwendig, die Eigentumsverhältnisse des Grundbesitzes umzuverteilen. Landwirte hatten damals den Status von Leibeigenen. Die Großgrundbesitzer besaßen 70 Prozent des furchtbaren Bodens. Die massiv asymmetrische Machtverteilung zwischen Landwirten und Großgrundbesitzern war untragbar. Letztere bestimmten alles, während erstere rechtlos und der Ausbeutung ausgeliefert waren. Deshalb lebten Landwirte vor der weißen Revolution in Armut. Von den neuen Reformen sollten drei Millionen iranische Familien profitieren, indem annehmbare Lebensbedingungen hergestellt werden.
Aber auch hier stieß der Schah bereits Jahre vor der Realisierung der Landreformen auf massiven Widerstand des Klerus, der „Nationalen Front“ („Jebh-e Melli“) und der Großgrundbesitzer, die Sitze im Parlament innehatten. Letztlich wurde das verabschiedete Gesetz in einem Maße relativiert, dass keine Landreform mehr durchsetzbar war.
Hasan Arsanjani, damaliger Landwirtschaftsminister und Jurist, gelang später eine zielführende Überarbeitung des Gesetzesentwurfes, der trotz des massiven Widerstands umgesetzt wurde. Hierbei wurden aber auch die Großgrundbesitzer berücksichtigt, indem sie durch das Zehnfache ihrer durchschnittlichen Jahreseinkünfte ausgezahlt bekamen. Durch diese Reformen konnten die landwirtschaftliche Produktion um ca. ein Drittel gesteigert werden. Bereits 1970 zeigte sich ein deutlicher Positiv-Trend.
Doch der Widerstand der Großgrundbesitzer und der Geistlichen nahm dennoch kein Ende. Premierminister Assadollah Alam wurde zum Rücktritt gezwungen und wurde durch Hasan Ali Mansour abgelöst. Für die weitere Durchsetzung der Reformen wurde dieser jedoch im Januar 1965 von Mohammad Bokharai, einem Anhänger der „Fedayin-e Eslam“(„Die sich für den Islam Opfernden“), mit drei Schüssen getötet. Der spätere Präsident der Islamischen Republik, Ali Akbar Hashemi Rafsanjani, soll an der Ermordung des damaligen Premiers beteiligt gewesen sein.
Die Erweiterung des Reformprogramms
Und wieder musste der Premierminister ausgewechselt werden, nachdem Hasan Ali Mansur von den Gegnern der „Weißen Revolution“ ermordet worden war. Dr. Amir Abbas Hoveyda sollte nun diesen Posten übernehmen. Mit dem Schah zusammen erweiterten sie, wieder unter starkem Widerstand der anderen, die Reformen.
Die Erweiterungen betrafen die Aspekte:
- unentgeltliche medizinische Betreuung
- Gründung genossenschaftlicher Kooperativen in der Landwirtschaft
- Einrichtung von Schiedsgerichten
- Verstaatlichung von Flüssen und Seen
- Wiederaufbauprogramm für Städte und ländliche Gebiete
- Reorganisation der staatlichen Verwaltung
- Dezentralisierung des Bildungswesens
- Mitarbeiterbeteiligung an staatlichen Unternehmen
- Staatliche Preisüberwachung
- Kostenlose Nahrungsergänzungsmittel für schwangere Frauen und Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr
- kostenlose Ausbildung und kostenlose Schulspeisung für alle Kinder vom Kindergarten bis zur 6. Klasse
- Einführung eines landesweiten Sozialhilfesystems
- Preiskontrolle für Grundstücke
- Veröffentlichung der Einkommen hoher Regierungsbeamter und deren Frauen und Kinder
Zur Umsetzung wurden Institutionen für die jeweiligen Aufgaben installiert. So gab es eine „Bildungsarmee“ („Sepah-e Danesh“), um die Alphabetisierung in den ländlichen Gebieten Irans voranzutreiben. Die „Gesundheitsarmee“ („Sepahe Behdasht“) bot Strukturen und implementierte Maßnahmen zur Gesundheitsversorgung. Die „Wiederaufbauarmee“ („Sepah-e Tarvij va Abadani“) half bei der Modernisierung der Landwirtschaft und beim Aufbau von Schulen, öffentlichen Bädern und der Infrastruktur. Die Organe hatten das Ziel, die Lebensverhältnisse der IranerInnen und ihre Zukunftschancen deutlich zu verbessern.
Der weißen Revolution gelang es mit der Zeit immer mehr, eine Mittelschicht zu etablieren. Iran befand sich in einer konstruktiven Aufwärtsentwicklung mit einem unheimlich großen Potenzial nach oben. Doch der Widerstand der Gegner war zu groß: Noch bevor die „Weiße Revolution“ ihre Früchte vollends ernten konnte, fand sie ihr jähes Ende durch die Islamische Revolution 1979.
Wurde der Schah dem Westen zu gefährlich?
Am 16. Januar 1979 verließ der Schah mit gebrochenem Herzen seine Heimat. Wie konnte es nach dem ersten sichtbaren Erfolg des nationalen Reformprogramms, das nachweislich eine so breite Unterstützung im iranischen Volk genossen hatte, dazu kommen?
Wer sich mit dem Zeitpunkt des politischen Wandels in der internationalen „Wahrnehmung“ von Mohammad Reza Pahlavi beschäftigt, kommt nicht umhin, Fragen nach westlichen Interessenskonflikten in Bezug auf eines der rohstoffreichsten Länder der Welt zu stellen. Ein König mit dem Fokus auf den Aufbau und den Wohlstand des Irans konnte langfristig kein leicht zu überzeugender Verhandlungs- und Geschäftspartner sein. Während Islamisten und Kommunisten ihm eine Hörigkeit gegenüber dem Westen vorwarfen, fühlte sich der Westen vom Patriotismus des Schahs und seinem verdichteten Fokus auf sein Land bedroht.
Bereits damals war evident, dass die Pahlavi-Könige das von den Qajaren ausgebeutete Land in eine aufstrebende Nation verwandelt hatten. Iran war zwar noch lange nicht am Zenit seines Potenzials angelangt, aber eindeutig auf dem Weg dorthin. Im weiteren Verlauf hätte sich das Land durch den gesellschaftlichen Wandel und Wohlstand auch politisch weiterentwickeln können. Doch Ölkartelle, iranische Kommunisten und Islamo-Marxisten, die Nachfahren der Herrschaftselite der Qajaren sowie die islamistischen Kleriker, reichten einander - im irrationalen Hass gegen den letzten Schah vereint - die Hände, um nationale Reformen zur Modernisierung des Landes und der gesamten Gesellschaft zu verhindern.
Eine ganze Nation und ihre Folgegenerationen wurden schutzlos ihrem Schicksal überlassen und ihrer Heimat beraubt. Bis heute leiden IranerInnen an den katastrophalen Folgen der Islamischen Revolution 1979.
Denn: Sie war ein fataler Fehler.
Nida ist eine Twitter-Userin in ihren Dreißigern. Sie lebt seit ihrer Geburt in Deutschland und fragt sich tagtäglich, warum sie sich dem Geburtsland ihrer Eltern so intensiv und liebevoll verpflichtet fühlt. Sie liebt Animes und Schokolade.
Comentários