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Unmut in der iranischen Diaspora: „Wir sind viele“

Politische Differenzen und Ansichten über die Exil-Opposition zwischen den Iranern sorgen aktuell vor allem im Netz für Enttäuschung – vor allem gegenüber den größeren Aktivistinnen. Die Sorge, dass das der Bewegung schadet, liegt im Raum. Eine Twitter-Userin namens Nida schreibt uns dazu ihre Meinung.




Zum Jahreswechsel kündigte es sich bereits „zart“ an: Bekannte iranische Diaspora-Persönlichkeiten taten sich zusammen und kündigten mit Bezug auf den revolutionären Prozess des Iran für das Jahr 2023 positive Veränderungen an. Eine greifbare Vorfreude lag in der Luft. Innerlich jubelten viele wegen der sich setzenden Gewissheit: „Wir sind nicht mehr allein, unser gemeinsamer Kampf wird eine starke und öffentlichkeitswirksame Stimme bekommen.“ Unter den damaligen Tweet-Autoren, die den exakten Wortlaut der anderen aus der Gruppe nutzten, waren unter anderem Reza Pahlavi, aktiver Fürsprecher eines säkularen und demokratischen Iran und Sohn des letzten Schahs, Frauenrechtlerin Masih Alinejad, der ehemalige Fußballprofi und Nationalspieler Ali Karimi, Menschenrechtsaktivistin und Schauspielerin Nazanin Boniadi und der in Kanada lebende Aktivist Hamed Esmaeilion – ein Angehöriger der Opfer des Fluges PS752, der bei dem Abschuss der Passagiermaschine im Jahr 2020 Frau und Kind verloren hat.


Die Vorfreude auf eine neue starke Einheit wurde schnell getrübt, denn erste tendenziell kritische Stimmen aus der bekannten iranisch-linken Aktivistinnen-Szene aus Berlin kamen prompt: Eine von ihnen erklärte, man könne wegen „eines einzigen, gemeinsamen Tweets zu Silvester“ nicht auf die Gründung einer Opposition schließen, zumal Stimmen aus „ethisch marginalisierten Gruppen“ fehlten. Der Dämpfer konnte von vielen nicht nachempfunden werden, handelte es sich doch bei dem Silvester-Tweet um eine gemeinsam abgestimmte Aktion, die bedeutungsvoll erschien und den Iraner*innen weltweit eine Botschaft der Einheit und gemeinsamer Bemühungen vermittelte.


Am 18. Januar führte dann das offizielle Bekennen von Ali Karimi zu Reza Pahlavi als Fürsprecher und Verantwortungsträger für eine Übergangsregierung zu einer intensiven Grundsatzdiskussion zwischen den verschiedenen Lagern - sowohl im Iran als auch in der Diaspora (Hashtag: #RezaPahlaviIsMyRepresentative). Während die Iraner*innen im Iran in verschiedenen Twitter-Spaces erkenntnisreich über Zukunftsvisionen eines freien Irans debattierten, es hierbei um verschiedene politisch-gesellschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten durch eine konstitutionelle Monarchie, eine Republik oder durch zentralistische vs. föderalistische Systeme ging, entflammten in der deutschsprachigen Diaspora generationsübergreifende alte Grabenkämpfe.


Linke gegen Monarchisten


Die iranischen Linken echauffierten sich über Reza Pahlavi, da er durch seine Herkunft als Sohn des letzten Schahs, offensichtlich zwangsläufig zum „Diktator“ mutieren müsste, während eine inhaltliche Analyse seiner jahrzehntelangen Aktivitäten und Aussagen zum Iran kaum gewährleistet wurde. Plötzlich stand nicht mehr im Fokus, gemeinsam die iranische Revolution voranzutreiben, sondern erst einmal auszudiskutieren, warum Reza Pahlavi mit einer feministischen Revolution „unvereinbar“ sei und er sich darüber hinaus von seinem Vater und seinen Anhängern zu distanzieren habe.


Einige Monarchisten hingegen spielten den Ball hart zurück und forderten die linke Fraktion auf, sich vom „Verrat“ ihrer „Kommunisteneltern“ zu distanzieren und die zwielichtige Geschichte der „Tudeh-Partei“ vor 1979 aufzuarbeiten, der sie die Mitschuld an der Islamischen Revolution von 1979 gaben. Die Fronten wirkten verhärtet, alte Wunden rissen auf, während das größere Spektrum um „Mitte-links und Mitte-konservativ“ herum bereits moderierende und beschwichtigende Anstrengungen unternahm, die Kräfte wieder auf das eine gemeinsame Ziel zu bündeln: Auf die Iran-Revolution.


Der Wendepunkt: Das erste Treffen der Opposition

In unaufgeregter und bodenständiger Präsenz trafen sich am 10. Februar Reza Pahlavi, Masih Alinejad, Nazanin Boniadi und Hamed Esmaeilion in der Georgetown University in den USA und hielten interaktive Vorträge zu einer möglichen Zukunft Irans. Sie betonten vor allem eines: das gemeinsame Ziel des Regime-Sturzes sowie die hierfür notwendige Einheit der Iraner*innen. Per Videobotschaften trugen Abdullah Mohtadi (Vorstand der kurdisch-iranischen Komala-Partei), Shirin Ebadi (Menschenrechtsaktivistin und Friedensnobelpreisträgerin) und Golshifteh Farahani (Schauspielerin), gleichzeitig stellvertretend für Ali Karimi (Ex-Fußballnationalspieler), ihre Botschaften vor und bekannten sich zur Einheit und ihren gemeinsamen Bemühungen für ein freies Iran.


Die Ankündigung weiterer Aktivitäten der Beteiligten sowie die baldige Veröffentlichung einer gemeinsamen Charta, machten aus dem Treffen ein hoffnungsspendendes Highlight für Iraner*innen weltweit. Aus den persisch-sprachigen Twitter-Spaces und der deutschsprachigen Diaspora strömte eine Welle der Erleichterung auf. Mit ihren Forderungen standen sie fortan nicht mehr allein da, sie hatten prominente Vertreter*innen und konnten sich an dieser Koalition orientieren.


Distanzierung aus Berlin


Während die Diaspora also neue Energien freisetzte, beflügelt von eben diesem gemeinsamen Auftritt der Exil-Koalition, die sich sodann in besonders stimmungsstarken Kundgebungen in Düsseldorf, Los Angeles, später auch in Brüssel entluden, waren die Reaktionen der unversöhnlichen Stimmen aus der linken Berlin-Fraktion deutlich „verschnupft“.


Nun könnte man diese sehr linksorientierten Berliner Aktivistinnen- und Journalistinnen getrost ignorieren, genauso, wie man es mit einer Gruppe radikaler Monarchisten tut, die vereinzelt immer noch auf einige Oppositionsmitglieder schießen. Der Umstand jedoch, dass es sich bei Ersteren, also den Berliner Damen, um eine Gruppe von Personen mit hohem Bekanntheitsgrad und großer Reichweite handelt, ihnen eine gewisse Meinungshoheit inhärent ist, lässt ein davon Ablassen und Ignorieren kaum zu. Vielmehr verleitet diese relativ homogen wirkende Gruppe immer häufiger, dass sich die weitaus größere Gruppe moderater Diaspora-Iraner*innen nunmehr dazu genötigt fühlt, ständig Stellung zu beziehen und Oppositionsmitglieder in Schutz zu nehmen. Gleichzeitig wird die reichweitenstarke Berliner Gruppe mit Bitten und Flehen zum Zusammenhalt aufgerufen, allen voran mit dem Argument, dass „unsere Landsleute gefoltert, vergewaltigt und hingerichtet werden, sie keine Zeit für eure persönlichen Befindlichkeiten haben.“


„False-Balance“ zu Ungunsten der Mehrheitsstimmen


Die Berliner Aktivistinnen und Journalistinnen ignorieren bestenfalls solche Appelle und beeinflussen die Außenwahrnehmung der iranischen Stimmen der Diaspora und im Iran gleichermaßen. Wie das geht? Indem iranischen Stimmen nur selektiv Gehör verschafft wird, je nachdem, ob die eigene politische Agenda durch die Vermittlung der jeweiligen Stimmen geschadet oder gedient wird. Eine fatale Auswirkung hiervon ist die Etablierung einer „False-Balance“ zu Ungunsten der Mehrheitsstimmen. Sie ist schlicht und ergreifend dem Umstand geschuldet, dass die von „links“ abweichenden Iraner*innen in Deutschland eher selten journalistischen Tätigkeiten nachgehen und heute dem Überhang der hiesigen „Medien-Prominenz“ erschöpft gegenüberstehen und um ihre Stimmen ringen.


Gefährliche Narrative und selektive Berichterstattung

Während wir zu Beginn auf die Stimmen der reichweitenstarken Berliner Damen angewiesen waren und mit unseren Augen an ihren Lippen hingen, kristallisieren sich nach der Koalitionsbildung beobachtbare Tendenzen heraus, die zurecht die Frage in den Raum stellen, ob es den Frauen in der Hauptsache noch um den mehrheitlichen Willen der iranischen Nation geht. Viele beschleicht das ungute Gefühl, dass eigene politische Vorlieben weitaus richtungsweisender bei der Formulierung von politisch-gesellschaftlichen Analysen sind als die tatsächliche Entwicklung der Exil-Koalition und ihre Bedeutung für den politischen Wandlungsprozess im Zuge der Revolution. Der „politische Narzissmus“, der sich bei den Aktivistinnen herauskristallisiert, birgt die Gefahr, die iranische Revolution durch das Klein- und Schlechtreden zu verlangsamen, indem sie Außenstehenden Zerstrittenheit vermittelt oder die Koalition als nicht repräsentativ in Szene setzt.


So kam es gehäuft zu einer bewussten Negativ-Darstellung von Pahlavi-Anhänger*innen, in denen ihnen sowohl deutlich „rechte“ oder „nationalistische Tendenzen“, als auch die allgemeine Aberkennung der Rolle der Frau in der Revolution angehängt wurde. Versuche eines fruchtbaren Argumentationsaustauschs mit einigen Aktivistinnen, führten zu Massen-Blockierungen bei Twitter, die unter den vielen Betroffenen schon als „Running Gag“ ausgelebt werden („Wenn man von Aktivistin so und so noch nicht blockiert wurde, handelt es sich um ein Wunder“).


Spaltende und stichelnde Tweets


Was auf dem ersten Blick lustig klingt, ist durchaus kritisch zu bewerten: Das besonders Bedenkliche zeichnet sich nämlich durch ein gezieltes Blockieren von User*innen mit vernünftigen Gegenargumenten aus, während die radikalen Vertreter*innen als pseudo-repräsentatives Beispiel für eine verallgemeinerte Radikalität der „Pahlavisten“ vorgeführt werden, somit gezielt ein falsches Bild in Szene gesetzt wird, um Reza Pahlavi zu schaden. Spaltende und stichelnde Tweets mit Stigmatisierungs-Charakter werden auf Persisch geschrieben, um die eigene Radikalität möglichst zu verschleiern.


Während eine der Berliner Damen im Kontext der Münchener Sicherheitskonferenz, bei der erstmalig keine Vertreter der Islamischen Republik dafür aber Mitglieder der Exil-Opposition eingeladen wurden, lediglich Nazanin Boniadi und Masih Alinejad als Interview-würdig erachtete, nutzte Journalistin Nathalie Amiri die Gelegenheit für ein kurzes Statement von Reza Pahlavi – erntete aber mit ihren Fragen zur „einander zerschmetternden Diaspora“ und seiner Position zu seinem verstorbenen Vater viel Kritik.


Die ebenfalls reichweitenstarke Journalistin Gilda Sahebi reihte sich in die unglücklichen Versuche ein, Reza Pahlavi und seine Anhängerschaft in ein tendenziell negatives Licht zu rücken. So schrieb sie in einem subtil anmutenden Tweet, dass „Personenkult“ nie etwas Gutes brächte. Doch weitaus kritischer ist jener Tweet zu bewerten, in dem sie der iranischen Diaspora mitteilte, dass es zwischen Politiker*innen und Vertreter*innen der iranischen Opposition keine offiziellen Gespräche geben würde, solange deren Befürworter*innen sich gegenseitig angriffen. Abgeschlossen wurde der Tweet mit einem harschen: „Punktsieg für das Regime.“


Dieser Tweet kam – wohlgemerkt – kurz nach dem harmonischen und geschlossenen Auftritt der Iran-Diaspora am 20. Februar in Brüssel zustande. Er konnte dementsprechend nur als niederschmetternd empfunden werden, zumal trotz großer Anstrengungen der Diaspora, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu befördern, lediglich mit der minimalen Erweiterung von Einzelpersonen reagiert wurde.


Unfaire Kritik


Was an diesem Tweet jedoch besonders bedenklich war, ist die versteckte Täter-Opfer-Umkehr in der Botschaft: Auf dem Zenit des Zusammenhalts, beflügelt durch den positiven Vorbildcharakter der Exil-Koalition, erfolgte eine unfaire und vor allem nicht mehr zeitgemäße Kritik, die einer Schuldzuweisung an die Diaspora für die fehlende Unterstützung des politischen Westens glich. Gleichzeitig wurden tragende Politiker*innen in ihrer Verantwortung entlastet, indem der kritische Blick von ihrem politischen Unwillen, die Iran-Revolution zu unterstützen, auf die Iran-Diaspora gelenkt wurde. Ich würde sagen: Punktsieg für Khamenei.


Worin der persönliche Nutzen liegt, in einer sensiblen Phase der Revolution, in der Bewegungen und Aktionen der Diaspora Auswirkungen auf Aktionen und Bewegungen im Iran haben, eine tiefgreifende Zerstrittenheit zu unterstellen und zu betonen, bleibt vielen ein Rätsel.


Wie es jedoch scheint, haben die besagten Berliner Journalistinnen und Aktivistinnen den Bezug zur deutschen Diaspora verloren. Diese Kritik müssen sie sich heute gefallen lassen. Denn denken wir zu Ende, kommt man nicht umhin zu denken, dass der eigene politische Narzissmus die Revolution verlangsamt, weil er die Exil-Opposition aufgrund eigener Befindlichkeiten zu schwächen sucht. Aber die bedauernswerteste Erkenntnis ist, dass die Stimmen innerhalb Irans, die sich nun einmal auch für Reza Pahlavi aussprechen, in ihrer Lautstärke bewusst runterreguliert werden. Was das bedeutet? Dass man je nach politischer Vorliebe, mal Stimmenverstärker oder selektiv Stimmenunterdrücker ist.


Politischer Narzissmus in der Diaspora


Auf die anfänglichen Wegweiserinnen der Proteste seit Jina Mahsa Aminis Tod wird nunmehr mit einer gewissen Skepsis geschaut. Neben der noch vorhandenen Dankbarkeit für die positiven Bemühungen der Anfangszeit, werden Fragen über ihren politischen Narzissmus und Egoismus aufgeworfen. Die Reaktionen auf Tweets und Artikel der Berliner Aktivistinnen- und Journalistinnen fallen immer kritischer aus oder werden mit einer gewissen Ignoranz bestraft. Für viele von uns trennt sich derzeit „die Spreu vom Weizen“.


Als zuverlässige Quellen mit einer akkuraten Einordnung politischer und gesellschaftlicher Prozesse werden nur noch wenige Journalist*innen herangezogen als da wären: Shoura Hashemi, Golineh Atai und Marco Herack. Ihnen allen ist gemein, dass sie ihre eigenen Befindlichkeiten aus ihrer Berichterstattung heraushalten und mit den verschiedenen Strömungen des demokratievereinbaren Spektrums tendenziell wertfrei umgehen.


Und wie sieht es bei uns Diaspora-Iraner*innen aus? Die geforderte Demokratie- und Debattierfähigkeit setzt uns viel weniger auf eine harte Probe als gedacht. In den sozialen Medien lassen sich – vor Jahren noch undenkbare – Szenen beobachten: Pahlavi-Anhänger*innen fordern Ultra-Royalisten auf, sich am Riemen zu reißen und Mitglieder der Exil-Opposition um Reza Pahlavi herum nicht öffentlich anzugehen. Tendenziell linksorientierte oder wenig Pahlavi-affine Iraner*innen kritisieren die unversöhnlichen Aktivistinnen und Journalistinnen für ihr tendenziöses Vorgehen, man toleriert einander nicht mehr nur, man arbeitet zusammen. Es werden engagierte Tweets und Threads abgesetzt, die als Gegenreaktion auf die unterstellte Zerstrittenheit zu verstehen sind und den Zusammenhalt und die Motivation für den Marathon der Revolution unterstützen. Je sturer behauptet wird, die Diaspora wäre gespalten, desto vehementer wird dies negiert und das Gegenteil demonstriert.


Zusammenhalt für das große Ganze


Denn in Wirklichkeit entstand durch die Koalition der Exil-Opposition vor allem eines: Der gelebte Beweis dafür, dass ein Zusammenwirken von verschiedenen Strömungen für das große Ganze möglich ist. Dieser magische Funken an Hoffnung und Selbstwirksamkeit ist eine Quelle der Inspiration und verschafft eine neue Perspektive auf das, was gerade geschieht. Wir sind viele – uns vielen wird dadurch das einzigartige Momentum bewusst, in dem es gilt, die Hände der anderen zu ergreifen, anstatt diese abzuwehren.


Du denkst anders als ich? Das ist in Ordnung. Wir bleiben Freunde – und vielleicht überzeuge ich dich eines Tages oder du auch mich. Aber bitte rede uns das Licht nicht klein, das wir benötigen, um dem Iran in dunklen Zeiten zu einer Zukunft zu verhelfen – und das so schnell wie nur möglich.


Nida ist eine Twitter-Userin in ihren Dreißigern. Sie lebt seit ihrer Geburt in Deutschland und fragt sich tagtäglich, warum sie sich dem Geburtsland ihrer Eltern so intensiv und liebevoll verpflichtet fühlt. Sie liebt Animes und Schokolade.

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