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Schlaflose Nächte – wie Shole Pakravan nach der Hinrichtung ihrer Tochter zur Aktivistin wurde

Nachdem die junge Iranerin Reyhaneh Jabbari trotz internationaler Proteste 2014 hingerichtet wurde, wurde ihre Mutter Shole Pakravan zur Aktivistin. Sie kämpft seither für die Abschaffung der Todesstrafe in ihrer Heimat – inzwischen von Berlin aus. Die Hinrichtungen von Teilnehmenden der aktuellen Proteste im Iran konfrontieren sie erneut mit ihrem Schmerz.

Von Parastu Sherafatian


Shole Pakravan (Foto: © USE gGmbH Mediengestaltung/ Melanie Bühnemann / Piper Verlag)

Mitten in der Nacht standen plötzlich Männer in der Wohnung. Ihre Tochter stand fertig angezogen vor ihr, und Shole Pakravan bemerkte erst in diesem Moment, dass es Polizisten waren, die Reyhaneh abführen wollten. Einige Stunden zuvor war die 19-Jährige aufgewühlt nach Hause gekommen und hatte von einem Autounfall berichtet, den sie gehabt habe. Shole beschwichtige sie und war beruhigt bei dem Gedanken, dass niemand verletzt worden war. Nun sagten die Polizisten, ihre Tochter habe eine Person mit dem Auto erfasst und Fahrerflucht begangen. "Ich schimpfte mit Reyhaneh und fragte sie, wie sie es übers Herz gebracht hatte, den Menschen auf der Straße liegen zu lassen. Die Absurdität dieses Moments war mir in jener Nacht noch nicht bewusst", erzählt Shole Pakravan. Sie spricht gefasst, es hilft, dass sie diese ­Geschichte schon oft erzählt hat, nur in ihren Augen sieht man die Trauer.

Jahrelange Recherche

Shole Pakravan war damals, 2007, in die Irre geführt worden. Reyhaneh wurde nach der Festnahme nicht der Fahrerflucht beschuldigt, sondern des Mordes an Morteza Abdolali Sarbandi, einem ­früheren Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes. Nach jahrelanger Recherche weiß Shole Pakravan heute, dass Sar­bandi ihre Tochter, eine Informatik- und Innenarchitekturstudentin, unter dem Vorwand, sein Büro neu einrichten zu wollen, in eine leerstehende Wohnung ­gelockt hatte. Dort versuchte er, sie zu vergewaltigen. Reyhaneh wehrte sich. Nach einer Auseinandersetzung, bei der sie Sarbandi in Notwehr verletzte, schaffte Reyhaneh es, aus der Wohnung zu fliehen und einen Krankenwagen zu rufen.

Shole Pakravan ahnte damals nicht, dass jene Nacht, in der ihre Tochter abgeführt wurde, die erste von unzähligen schlaflosen Nächten sein würde. Es folgten sieben Jahre, in denen die Mutter unermüdlich für die Freiheit ihrer Tochter kämpfte. Sie beendete ihre Karriere als Schauspielerin und bewegte sich fortan in einer ganz anderen Welt. Sie lernte Frauen aus allen Schichten der iranischen Gesellschaft kennen. Sie alle hatten Angehörige, die inhaftiert waren. Zuvor waren die Verurteilten nur Zahlen, über die sie in Zeitungen las. Nun bekamen die Per­sonen Namen und Lebensgeschichten. Während Reyhanehs Zeit im Gefängnis setzten sich Mutter und Tochter auch für Mitinhaftierte ein.


„Auf allen Ebenen bedeutet die Todesstrafe endlosen Schmerz.“

"Der Kampf für Reyhanehs Freilassung hat mir – leider, muss ich sagen – gezeigt, wie die iranischen Behörden ticken und welche aus der Not geborenen Mittel man ergreift, um nicht komplett machtlos gegen die Ungerechtigkeiten der Justiz zu sein", erzählt Shole Pakravan.

Zwei Jahre nach ihrer Festnahme wurde Reyhaneh in einem unfairen Prozess zum Tode verurteilt. Je mehr die verzweifelte Mutter mit den Schicksalen anderer zum Tode Verurteilter in Berührung kam, desto stärker war sie davon überzeugt, dass es keine Rechtfertigung für die Todesstrafe gibt. "Hinrichtungen fügen nicht nur den Betroffenen Leid zu. Sie traumatisieren auch die Personen, die diese ausführen. Auf allen Ebenen bedeutet die Todesstrafe endlosen Schmerz", sagt Shole Pakravan heute mit Nachdruck.

Zweimal stand ihre Tochter kurz vor der Hinrichtung. Doch ihre Mutter und ihre Unterstützer*innen konnten diese verhindern, vorerst. Am 25. Oktober 2014 wurde Reyhaneh gehängt – trotz weltweiter Proteste und der unermüdlichen Versuche ihrer Angehörigen, die Hinrichtung zu verhindern. Sie war 26 Jahre alt.

Netzwerk von Müttern

Shole Pakravan blieb zunächst im Iran. Sie schloss sich einem Netzwerk von ­Müttern an, die ihre Kinder auf dieselbe Weise verloren hatten. Gemeinsam halfen sie mehreren inhaftierten Frauen. Die ­Aktivistinnen reisten überall dorthin, wo sie von bevorstehenden Hinrichtungen erfahren hatten. Manchmal konnten sie eine Hinrichtung verhindern, manchmal unterstützten sie freigelassene Frauen bei ihrem Weg zurück in das Leben außerhalb des Gefängnisses.

Irgendwann musste Shole Pakravan befürchten, selbst inhaftiert zu werden, wenn sie sich weiterhin öffentlich gegen die Todesstrafe im Iran aussprach oder über die Hinrichtung ihrer Tochter redete. Also verließ sie 2017 mit ihren zwei verbliebenen Töchtern ihre Heimat und lebt seither in Berlin. Ihr Ehemann konnte den Iran bis heute nicht verlassen, die Behörden haben seinen Reisepass einbehalten.

Auch in Deutschland hat Shole Pakravan ein Netzwerk gefunden, mit dem sie sich gegen die Todesstrafe im Iran einsetzt. Reyhaneh hatte vor ihrer Hinrichtung in einem Brief letzte Wünsche formuliert. Die Mutter fühlt sich vor allem der Bitte "Gebe mich dem Wind frei" ­verpflichtet. Dazu gehört für sie, die ­Geschichte ihrer Reyhaneh am Leben zu erhalten, weiterzutragen und dafür zu sorgen, dass es keine Menschen mehr gibt, die ein solches Leid erfahren müssen. 2019 zog die frühere Schauspielerin mit einem Theaterstück durch Deutschland und erzählte von Müttern, die ihre Kinder auf dieselbe Weise verloren hatten. Nun hat sie die Geschichte ihrer Tochter auch in einem Buch geschildert.

Solidaritätsdemons­trationen in Berlin

Seit dem Beginn der aktuellen Pro­testbewegung im Iran schläft sie wieder schlecht. Die Schicksale der zum Tode ­verurteilten Menschen halten sie wach. Insbesondere die Hinrichtung von Majidreza Rahnavard versetzte Shole Pakravan in Trauer: "Als ich das Foto von Majidreza und seiner Mutter bei ihrem letzten Besuch sah, kamen mir sofort die Tränen. Ähnlich wie bei Reyhanehs Hinrichtungstermin wusste ich damals nicht, dass dies mein letzter Besuch sein würde. Ich hatte mich sogar gefreut, meine Tochter endlich mal wieder umarmen zu können und ahnte nichts von der geplanten Hinrichtung. Man hatte mir nichts erzählt, damit ich kaum Zeit haben würde, etwas dagegen zu unternehmen. Genauso ist es Majidrezas Mutter ergangen. Sie lächelt ihn auf dem Foto mit der Liebe einer Mutter an, die Hoffnung hat, dass ihr Sohn am nächsten Morgen noch am Leben sein würde."

Mit jeder Hinrichtung im Iran wird Shole Pakravan an ihre Tochter erinnert. Also geht sie zu den Solidaritätsdemons­trationen in Berlin, spricht manchmal dort und erzählt von ihrer Tochter, in der Hoffnung, dass der Ausruf "Frau, Leben, Freiheit" Wirklichkeit wird. Dann könnten sie und ihre Töchter auch wieder zurück in den Iran gehen.

Shole Pakravan (mit Steffi Niederzoll): Wie man ein Schmetterling wird – das kurze, mutige Leben meiner Tochter Reyhaneh Jabbari. Piper, München 2023, 272 Seiten


Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Amnesty International, CC BY 4.0

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