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Einmal gegen die Mullahs gewinnen – der Protest der Sportler*innen

An den Protesten im Iran sind viele Sportler*innen beteiligt. Andere nutzen ihre Prominenz, um sich zu solidarisieren. Doch die Regierung schlägt zurück.

Von Martin Krauss



Mohammad Mehdi Karami

Ihre genaue Zahl ist nicht bekannt. Doch sind es nicht wenige Sportler*innen, die im Iran gegen die politische und geistliche Führung protestieren und dabei riskieren, verfolgt und inhaftiert oder sogar zum Tode verurteilt und hingerichtet zu werden. Wie zum Beispiel Mohammad Mehdi Karami, einer der besten Karate-Sportler des Landes. Weil er an Demonstrationen teilnahm, wurde er Anfang Januar hin­gerichtet. Amnesty International kritisierte, der Prozess ­gegen ihn habe nicht im Entferntesten ­einem ordentlichen Gerichtsverfahren entsprochen. Karami wurde am 7. Januar gehängt, er wurde 22 Jahre alt. Gemeinsam mit ihm wurde Seyed Mohammad Hosseini hingerichtet. Der 39-jährige Kickboxer und Jugendtrainer hatte ebenfalls an Demonstrationen ­teilgenommen. Die Justiz warf beiden "Verdorbenheit auf Erden" vor.

Vermisst wird die Bergsteigerin und Sportstudio-Betreiberin Marjan Jangjou, die im November 2022 an Straßenprotesten teilgenommen hatte. Seit sie in ihrem Haus festgenommen wurde, gibt es keine Informationen über ihren Verbleib. Ihre Freund*innen und Angehörigen befürchten, dass die 31-Jährige getötet wurde. Der 26-jährige Bodybuilder Sahand Nourmohammad-Zadeh wurde im November wegen "Kampf gegen Gott" zum Tode verurteilt. Im Dezember wurde das Urteil überraschend aufgehoben und eine neue Verhandlung angesetzt.

Exempel statuieren an Prominenten

Die Nichtregierungsorganisation Human Rights Activists in Iran mit Sitz in den USA schätzt, dass in den vergangenen Monaten 36 Sportler*innen inhaftiert wurden. Nina Navid, Iran-Expertin der britischen Sektion von Amnesty International, sagt: "Es war abzusehen, dass die iranischen Behörden versuchen, ein Exempel an prominenten Sportler*innen zu statuieren." Gleichheit und Weltoffenheit ge­hören dazu, wenn Menschen sich im ­Wettkampf messen. Die politische und geistliche Führung hatte direkt nach der Machtübernahme 1979 eine harsche Sportpolitik eingeführt: Frauen- und ­Mädchensport wurde verboten, der Männersport musste sich dem Militär, den ­Sicherheitskräften und den Ministerien unterordnen. Diese Politik wurde eineinhalb Jahrzehnte lang beibehalten, dann riskierte die Regierung eine Öffnung. 1993 wurde ein TV-Kanal speziell für Sport ­eingerichtet. Gegen den Widerstand der Hardliner wurden Spiele der Fußball-WM 1994 übertragen, die in den USA stattfand. Und erstmals gab es "Islamspiele der Frauen", wozu auch der Mädchen- und Frauensport teilweise wieder zugelassen wurde – allerdings nur in bestimmten Sportarten und abgeschirmt von der ­Öffentlichkeit. Außerdem muss­ten die Sportler*innen den Hidschab ­tragen.

Ministerin zu Haft verurteilt

Beibehalten wurde auch die Regelung, wonach Frauen keine Männerfußballspiele sehen dürfen. Immer wieder protestierten Frauen vor Stadien oder gelangten als Männer verkleidet auf die Tribünen. Die frühere iranische Vizepräsidentin für Frauen und Familie Shahindocht Molaverdi (Foto: Tasnim News Agency, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons) wurde im Dezember 2020 zu 30 Monaten Haft verurteilt, weil sie es gewagt hatte, sich gegen Zwangsverschleierung und für den Zutritt von Frauen bei Sportveranstaltungen auszusprechen.

Shahindocht Molaverdi

Die Mullahs glaubten und glauben zum Teil immer noch, sie könnten die ­befreiende Kraft kontrollieren, die vom Sport ausgehen kann. Als bei der Fußball-WM 1998 in Frankreich die iranische Elf die USA mit 2:1 besiegte, schien ihnen das wie ein göttlicher Befehl, sich nun des gesamten Sports zu bemächtigen. Athleten wurden zu internationalen Wettkämpfen geschickt, wo sie sich weigern sollten, gegen Israelis anzutreten, Sport­lerinnen mussten ihre Wettkämpfe mit Kopfbedeckung bestreiten. Man kann all dies als eine Kampfansage der Regierung gegen die Liberalität des Sports verstehen. Eine Ansage, die sich rächen sollte.

Hymne nicht mitgesungen

Die aktuellen Proteste richten sich nicht zuletzt gegen die Kopftuchpflicht. Die Sportkletterin Elnaz Rekabi wurde weltberühmt, weil sie im Oktober 2022 bei den Asienmeisterschaften in Südkorea ohne Hidschab am Wettkampf teilnahm. Seit ihrer Rückkehr in den Iran steht sie Berichten zufolge unter Hausarrest. Die Schachgroßmeisterin Sara Khadem setzte sich im Dezember 2022 bei der Schnellschach-WM in Kasachstan ohne Kopftuch ans Brett. Sie nahm Warnungen vor einer Rückkehr ernst und lebt nun in Spanien. Auch ihre Kollegin Atousa Pourkashiyan trat beim Schach ohne Hidschab an. Sie besitzt neben der iranischen die Staatsbürgerschaft der USA, wo sie nun auch lebt. Die Bogenschützin Parmida Ghasemi ging ohne Kopftuch zur Siegerehrung, das Video war in Online-Netzwerken zu sehen. Übelste Beschimpfungen folgten.

Auch männliche Athleten nutzen ­ihren Sport, um gegen die Regierung zu protestieren – etwa, indem sie sich weigern, die Nationalhymne zu singen. Die iranischen Nationalteams im Volleyball, Wasserball und Beachsoccer gewannen wichtige Turniere, ignorierten aber die Hymne der Islamischen Republik. Der ­Beachsoccer-Spieler Saeed Piramoon deutete im November nach einem Tor mit einer Handbewegung an, die eigenen Haare abschneiden zu wollen – eine Geste, die als Solidaritätsbekundung mit den iranischen Frauen verstanden wurde. Sein Sportverband kündigte eine Strafe an.

Die größte Aufmerksamkeit erhielten die Fußballer. Vor der Weltmeisterschaft 2022 in Katar waren sie noch vom Staatspräsidenten empfangen worden, was ihnen Kritik aus der iranischen Demokratiebewegung einbrachte. Aber beim Turnier selbst blieben sie stumm, als vor dem Spiel gegen England die Nationalhymne gespielt wurde. Und als Sardar Azmoun, der als Profi in Deutschland unter Vertrag steht, ein Tor erzielte, weigerte er sich zu jubeln. Prominente Ex-Fußballer wie Ali Daei und Ali Karimi lehnten es ab, für den Iran nach Katar zu reisen. Auch diese stillen Proteste werden viel beachtet und lösen bei den politischen und geistlichen Autoritäten Furcht aus.

Wie sehr das Regime die Freiheit fürchtet, für die der Sport steht, offenbarte Sportminister Hamid Sajjadi, als er im Januar mit der absurden These vor das iranische Parlament trat, Großbritannien habe geplant, die iranischen Fußballer dazu zu bewegen, während des WM-Spiels zum gegnerischen Team überzulaufen. Weil die iranischen Behörden so sehr damit beschäftigt gewesen seien, diese Attacke abzuwehren, habe das Team bei der WM so erfolglos gespielt und sei schon in der Vorrunde ausgeschieden.

Martin Krauss ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.


Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Amnesty International | Martin Krauss


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