Gazelle Sharmahd ist die Tochter des 2020 entführten Jamshid Sharmahd, der als deutscher Staatsbürger seit mehr als 900 Tagen in Isolationshaft im Iran sitzt und dem die Todesstrafe droht. Ein Gespräch.
Zunächst einmal… Hut ab vor Deiner Kraft, in diesen Tagen so unermüdlich viele Interviews wahrzunehmen, um auf die Situation Deines Vaters aufmerksam zu machen.
Ich spreche sehr gern darüber, denn je mehr ich darüber spreche, desto besser ist das für meinen Vater und für uns alle.
„Die haben Deinen Papa“
Wir halten einmal fest: Dein Vater ist deutscher Staatsbürger und war im Juli 2020 auf einer Geschäftsreise, als er in Dubai einen Zwischenstopp eingelegt hat. Von dort wurde er in den Oman entführt und in den Iran verschleppt. Ist das richtig?
Richtig. Mein Vater ist in jungen Jahren nach Deutschland gekommen, hat hier die Staatsbürgerschaft erhalten und die iranische stets abgelehnt. Er ist auch in all den Jahren nie in den Iran gereist. Aber die Islamische Republik sagt, er sei ein iranischer Staatsbürger, weil er dort geboren wurde. Einen Pass aber hatte er nie. Er ist kein Doppelstaatler. Er ist deutscher Staatsbürger.
Erinnerst Du Dich an den Moment, in dem ihr von der Entführung erfahren habt?
Den Moment werde ich niemals vergessen. Das war an einem Tag im Sommer 2020, mitten in der Pandemie. Ich arbeite als Krankenschwester und hatte an diesem Tag frei. Damals im fünften Monat schwanger, wollte ich mich an diesem Tag endlich mal zu Hause ausruhen - als ich von meinem Mann geweckt wurde, mit den Worten: „Die haben Deinen Papa.“ Mehr musste er gar nicht erklären. In dem Moment wusste ich, was passiert ist. Später habe ich dann das Video gesehen, dass das Regime von meinem Vater veröffentlicht hatte - mit Augenbinde, geschwollenem Gesicht, Anzeichen von Folter und einem Zwangsgeständnis, zu dem er genötigt worden war. Ich konnte das alles erst gar nicht glauben, weil das Regime meinen Vater ja schon seit 16 Jahren verfolgt hatte, aber dann war es tatsächlich geschehen, dass sie ihn im Ausland kidnappen konnten.
Wie habt ihr euch gefühlt?
Das war ein absolut surreales Gefühl. Ich kann das immer noch nicht in Worte fassen. Deine ganze Welt bricht zusammen. Du kannst nicht glauben, was du da siehst und fragst Dich immer wieder: Wie kann das sein, dass ein Terrorregime jemanden von der anderen Seite der Welt entführen kann und ihn dann so zur Schau stellt? Dazu gab es ja noch eine offizielle Stellungnahme des Regimes, dass man meinen Vater endlich gefasst habe. Ganz offen und ungeniert haben sie zugegeben, dass sie meinen Vater in einer „komplexen Operation“ in den Iran gebracht hätten, um ihre Macht zu demonstrieren. Sie schämen sich ja nicht einmal, den Terrorismus, den sie betreiben, zuzugeben. Ich saß da und dachte, ich träume.
„Sie wollten Zugang zu unserer Computersoftware bekommen“
Hattet ihr seitdem persönlichen Kontakt?
Die ersten zwei Monate gab es kein Lebenszeichen von ihm. Danach hat er meine Mutter das erste Mal angerufen. Im ersten Jahr durfte ich alle ein, zwei Monate auch mit ihm telefonieren. Das sind aber nicht normale Telefonate. Die Gespräche sind alle kontrolliert, die Wärter sitzen daneben und er kann nur sagen, was er sagen darf. Man musste viel zwischen die Zeilen hören, um zu erfahren, was ihm passiert ist und was er einem wirklich sagen wollte. Diese Telefonate gibt’s heute nicht mehr. Sie dienten auch nie dem Zweck, dass mein Vater seine Angehörigen anrufen durfte, sondern sie waren nur dafür gedacht, uns am anderen Ende der Leitung dazu zu bringen, Dinge zu sagen, die man hätte gegen meinen Vater verwenden können. Es ging zum Beispiel darum, mich dazu zu bringen, einen Brief zu schreiben, in dem ich bestätigte, dass mein Vater ein Terroristenführer sei, es ging darum, Zugang zu unserer Computersoftware zu bekommen und uns unter Druck zu setzen.
Wisst ihr, wo er festgehalten wird?
Nein, das wissen wir bis heute nicht. Die meisten politischen Gefangenen im Iran sind gekidnappt, es ist System, die Angehörigen im Ungewissen zu lassen, wo sich die Inhaftierten befinden, wie es ihnen geht und ob sie noch am Leben sind. Diese Tortur ist pure Absicht – auch, weil das Regime selbst Paranoia hat, dass man erfährt, wo sich politische Gefangene aufhalten, und man versucht, sie zu befreien.
Was genau wird ihm vorgeworfen?
Wir wissen sehr genau, wann die Terror-Attacken auf meinen Vater angefangen haben. Das begann mit einer Webseite, die mein Vater als Software-Ingenieur für die Menschen im Iran aufgebaut hatte, damit diese dort eine Stimme haben. Das war 2006, also noch, bevor die Menschen bei Social Media aktiv waren. Auf der Webseite konnten die Menschen im Iran anonym und ohne jede Zensur ihre Meinung uploaden. Mein Vater hatte ihnen technisch alles ermöglicht, damit sie über diese Seite ein Sprachrohr in die Welt hatten, um auf sich aufmerksam zu machen. Und er hat über das, was auf dieser Seite berichtet worden ist, eine Radiosendung gemacht. Deswegen machte das Regime aus ihm einen Terroristen, Agenten oder Spion. Aktivisten als Kriminelle darzustellen, ist ja der Schritt Nummer eins, den das Regime unternimmt. 2007 wurde dann bereits in unser Büro eingebrochen, um Propagandamaterial zu sammeln. Wenn sie den Namen kaputt gemacht haben, geht es mit Morddrohungen weiter. Und wenn die Person dann trotzdem nicht aufhört, wie mein Vater, geht es mit Attentaten weiter. 2009 haben sie einen Agenten auf meinen Vater angesetzt, um ihn in Los Angeles umzubringen.
„Das Regime ist seinen Kritikern überall auf den Fersen.“
Er hat den Menschen damals schon eine Stimme gegeben. Das ist sozusagen alles?
Das war eine mächtige Waffe, damals schon, weil mein Vater die Zustände im Iran sichtbar gemacht hat – deswegen hasst das Regime es ja so, was wir gerade jetzt machen. Wir geben den Menschen kollektiv eine Stimme, damit die Welt sieht, was das Regime mit ihnen anrichtet. Und es geht auch jetzt gegen Aktivisten wie Masih Alinejad zum Beispiel vor, um Macht zu demonstrieren und Angst zu schüren. Wer kritisch und laut ist und die Zustände im Iran sichtbar macht, ist eine Zielscheibe des Regimes. Und das will ich mit dem Fall meines Vaters demonstrieren: Das Regime ist seinen Kritikern überall auf den Fersen. Bis heute. Das ist deren Terrormessage.
Und es scheint ja zu funktionieren.
Ja. Es gibt unzählige Menschen, die das Regime umgebracht, entführt, gefoltert oder durch Einschüchterung zum Schweigen gebracht hat.
Wie ist der aktuelle Stand jetzt? Im Januar war ja nochmal ein Prozesstag angesetzt...
Prozesstag muss man in Anführungszeichen setzen. Das hat nichts mit einem Prozess zu tun, wie wir ihn in einem Rechtsstaat kennen. Es gibt keinen echten Richter und keinen Verteidiger, sondern einen Regimeagenten, der sich als Anwalt ausgibt. Es gibt keine freie Presse und auch kein ordentliches Gericht. Schon die Schauprozesse vor diesem Termin waren inszeniert. Erlaubt war nur die regimetreue Presse, um Propaganda zu betreiben. Das alles ist Theater - kein Prozess.
„Die Anklage lautet ,Korruption auf Erden'“
Und der Termin im Januar?
Der war angesetzt als letzter Schauprozess. Die Anklage hieß „Korruption auf Erden“, auf die das Todesurteil steht. Und man hat uns schon vor dem Urteil ganz ungeniert vermittelt, dass dieses Urteil kommen werde. Sie wollten meinen Vater hinrichten und haben nur nach einem passenden Grund gesucht – aber dieser Schauprozess war anders, weil kurz vor diesem Termin CDU-Chef Friedrich Merz die politische Patenschaft für meinen Vater übernommen hat und sich öffentlich dafür eingesetzt hat, den Prozess genau zu beobachten. Und schwuppdiwupp waren die Türen zu. Es gab keine Medienberichte, keine Fotos, keine Aussage und kein Urteil.
Was zeigt, welche immensen Einfluss politische Patenschaften haben.
Hundertprozentig. Wir müssen laut sein und die Machenschaften sichtbar machen, dann passiert etwas. Im letzten Jahr durfte mein Vater meine Mutter zwei Mal anrufen. Das war jedes Mal, nachdem wir uns in der Öffentlichkeit für seinen Fall stark gemacht hatten. Öffentlichkeitsarbeit von Politikern, Paten oder Journalisten darf man auf keinen Fall unterschätzen. Das wirkt sich 1:1 auf die Situation der politischen Gefangenen aus. Wenn dort hingeguckt und Druck gemacht wird, dann passiert da auch was. Und Friedrich Merz ist da als Pate sehr engagiert. Hinter den Kulissen und in der Öffentlichkeit. Das macht sich im Iran bemerkbar und das schätze ich sehr. Diese Paten sind als direkte Ansprechpartner viel konkreter als schwammige, diplomatische Bemühungen mit der Islamischen Regierung, die man praktisch nicht nachvollziehen kann. Das direkte Ins-Visier-nehmen, ist wichtig. Deswegen wurde das Urteil gegen meinen Vater nicht gesprochen, obwohl man uns schon gesagt hatte, dass er innerhalb von sieben Tagen verurteilt und hingerichtet werde.
„Von der Bundesregierung ist wenig passiert“
Wie sieht es denn mit der Bundesregierung oder dem Auswärtigen Amt aus? Die müssten sich ja auch ganz offiziell für einen deutschen Staatsbürger einsetzen.
Die setzen sich mit „hochrangiger Priorität“ ein, wie sie sagen - für meinen Vater wie auch andere deutsche Staatsbürger, heißt es. Aber passiert ist bisher wenig. Mein Vater ist seit mehr als 900 Tagen in Isolationshaft, er ist allein, wird immer noch gefoltert, hat 20 Kilo abgenommen. Ihm sind fast alle Zähne ausgefallen, er kann nicht mehr richtig gehen. Und auch seine Parkinson-Medikamente werden ihm verweigert, was zu Herzstillstand führen kann. Er hat acht Schauprozesse hinter sich - ohne Anwalt, ohne Kontakt zu uns und ohne, dass wir wissen, wo er ist. Ich frage mich, was da passiert, wenn man sagt, man setze sich mit Priorität für ihn ein? Warum konnte man zumindest nicht erreichen, dass er aus der Isolationshaft kommt oder mit uns telefonieren darf? Das kann doch nicht sein, dass Deutschland da so wenig Einfluss hat und so wenig erreichen kann.
Wurde mit dem iranischen Botschafter Kontakt aufgenommen?
Friedrich Merz hat mit ihm gesprochen.
Also erst kürzlich.
Ja. Ich weiß nicht, worauf man seitens der Regierung wartet. Muss ein deutscher Staatsbürger erst hingerichtet werden, bis sie begreifen, dass sie Druck ausüben müssen und bis sie begreifen, dass das, was meinem Vater passiert ist, auch jedem anderen Staatsbürger passieren kann? Auch außerhalb des Iran. Wie beschützen sie uns vor dieser Gefahr, dass man uns kidnappen und verschleppen kann? Nach meinem Vater hat es weitere Versuche gegeben, Aktivisten mit Entführung oder Anschlägen zum Schweigen zu bringen, gerade erst wurde das im Falle von Masih Alinejad bekannt. Dürfen wir uns nicht auf unsere Regierungen verlassen, die für Freiheit, Sicherheit und Menschenrechte einstehen? Was muss denn noch alles passieren?
„Öl, Lobbyismus und wirtschaftliche Beziehungen spielen eine Rolle“
Was glaubst Du, woran liegt das?
Ich glaube, das ist eine Mischung aus dem politischen Kurs, den sie mit dem Regime fahren, wirtschaftlichen Vernetzungen, Geschäftsbeziehungen und Angst, die sie davon abhält, sich auf die Seite der Betroffenen zu stellen. Ich kann mir das sonst nicht erklären, dass der Westen mit der EU, den USA und Kanada die Islamische Republik als Terrorstaat definiert und seit 44 Jahren gewähren lässt, obwohl alle wissen und sagen, was die Islamische Republik anrichtet. Das kann ja nicht sein. Plausibler ist es, dass das Regime vom Westen gehalten wird in all diesen Jahren. Wir sehen ja immer noch, dass ihnen die Hand gereicht wird, allein schon in Bezug auf das Atomabkommen, an dem der Westen festhält – obwohl völlig klar ist, dass die Islamische Republik die Bombe bauen will. Es wird auch immer noch über die Listung der IRGC gesprochen und abgewogen, obwohl völlig klar ist, dass es sich um eine terroristische Organisation handelt. Wir sind doch nicht blind und dumm. Natürlich spielen Öl, Lobbyismus und wirtschaftliche Beziehungen eine Rolle – und natürlich auch Angst, weil das Regime überall mitmischt. Alles andere wäre doch absurd. Dieser Kurs ist Absicht. Mit einem Unterschied.
Welchem?
Dieses Unrecht ist seit gut sechs Monaten für die ganze Welt sichtbar. Man kann sich also nicht mehr hinter seiner Haltung verstecken.
Was erwartest Du?
Die Einsicht, dass das, was bisher gemacht wurde, nichts gebracht hat. Dieser politische Kurs ist gescheitert und ich wünsche mir, dass der Westen ihn ändert und die Menschen im Iran unterstützt. Sie werden dieses Regime so oder so aus dem Weg räumen, wann, ist eine Frage der Zeit – aber es wird passieren. Und es ist wichtig, dass der Westen sich in seiner Solidarität auf die Seite derjenigen stellt, die die Iraner wirklich repräsentieren. Er muss endlich verstehen, was da im Iran gerade passiert: Das Volk will diese Tyrannen aus dem Weg schaffen. Und das wird ihm auch gelingen. Und die Menschen werden nicht vergessen, wer auf ihrer Seite steht. Es gibt keine Neutralität mehr.
Hast Du selbst auch Angst um Dich?
Ich bin mir der Gefahr bewusst. Ich weiß, dass ich nicht verreisen sollte und aufpassen muss, weil ich laut bin und auch mein Leben in Gefahr ist. Aber diese Gefahr ist nicht neu für mich. Ich kenne sie seit 16 Jahren, weil wir eben die Familie von meinem Vater sind. Irgendwann gewöhnt man sich daran. Und wenn ich hier in meiner Sicherheit die Menschen im Iran sehe, die keine Angst mehr haben, sich vor das Regime zu stellen und ihr Leben dafür riskieren, wenn man die neuen kraftvollen Slogans hört, dass sie sich nicht mal mehr vor dem Sterben fürchten und sich nicht mehr einschüchtern lassen, dann habe ich erst recht keine Angst. Denn den wahren Mut, den zeigen die Menschen dort im Land.
Neben Jamshid Sharmahd sind mindestens noch zwei weitere Deutsche in iranischer Haft. Die Kölnerin Nahid Taghavi sitzt seit mehr als zwei Jahren im Gefängnis. Ein 66-jähriger deutscher Tourist im Iran wurde im vergangenen Jahr festgenommen, weil er angeblich in Sperrzonen fotografierte.
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