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Masud Pezeschkian: ein Präsident des Tages



Pezeshkian and Mahmoud Sadeghi wearing IRGC uniforms (2019) ( Mehr News Agency, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)

Der Schachzug ist meisterhaft. Die Wahl von Masud Pezeschkian ist wie eine Atempause. Ein „Moderater“ betritt die Bühne. Allein diese Schlagzeile ist beruhigend, für viele. Was danach geschieht, überlassen wir den Kommenden. Ein Kommentar des Iran-Experten Ali Sadrzadeh. 


 Das persische Wort روزنه – Rosaneh ist ein mehrdeutiger Ausdruck, ein poetischer Begriff, der ebenso Schlitz, Luke oder Loch bedeuten kann wie auch Öffnung, Verheißung und Lichtblick. Der Raum, der Kontext ist immer dunkel, und es ist der Dichter,der bestimmt, wie man das Wort zu verstehen hat.


Masoud Pezeschkian gilt für viele seit diesem Samstag als ein personifizierter Rosaneh. Nicht nur für den, der am Ende des sehr langen, dunklen Tunnels einen Lichtblick zu sehen glaubt, sondern auch für Ali Khamenei, den Herrn, der die Lochgröße bestimmt. Das mag verwunderlich klingen, ist aber die Logik der „Wahlen“ dieser „Republik“.


In der sehr kurzen, nur wenige Tage dauernden Wahlkampagne wurde das Wort Rosanah zu einem Schlagwort für Pezeschkian und gegen Jalili. Für einen Herzchirurgen, der sich als versierter Arzt präsentiert, gegen einen Politologen, der über die „Diplomatie des Propheten“ promoviert hat. Jalili steht einem sehr mächtigen Netzwerk namens جبهه پایداری  – Widerstandsfront – vor, das viele als „heraufziehende schiitische Taliban“ bezeichnen.


Gäbe es international einen Preis für Wahlinszenierung zu vergeben, wären die Herren hinter den Teheraner Kulissen unbestrittene Gewinner.


Allein die Prozedur, wie Pezeschkians Name es auf die Kandidatenliste schaffte, zeigt die Meisterschaft der Inszenierung. 


Er verdanke alles dem „hochverehrten Führer“, sagte der Kandidat oft und unmissverständlich. Er nannte zwar die Missstände beim Namen, doch betonte stets zugleich, nur in jenem Rahmen handeln zu wollen, den der Führer vorzeichnet. Er sei gekommen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, wiederholte er ebenfalls unumwunden.


Und das unterscheidet Pezeschkian von allen anderen Präsidenten, die unter dem Banner der Reform und der Mäßigung in dieser „Republik“ die Szenerie betreten haben. Mohammad Khatami, der erste gescheiterte „Reformpräsident“, hatte stets und unmissverständlich zu verstehen gegeben, Khamenei bremse und behindere ihn.


Auch Hassan Rohani, der das Atomabkommen mit den westlichen Mächten unterzeichnete, sprach wiederholt vom „tiefen, mächtigen Staat“, der alles torpediere.


Pezeschkians öffentliche Zusicherung, er werde nichts gegen den Willen des Führers tun, ist der Preis seiner Kandidatur und schließlich seiner Wahl. Sie steckt auch jenen Freiheitsraum ab, in dem er die Zustände kritisieren und dagegen vorgehen darf.       


Der Chirurg beherrscht sein ärztliches Handwerk sehr gut, doch er ist ein zutiefst religiöser Mensch. Er beherrscht besser als manche Ayatollahs die Exegese der schiitischen Texte. Er will zwar die Sittenwächter bändigen, doch bis er sich eindeutig und überzeugend gegen das Hijab-Gesetz aussprechen wird, hat er noch einen sehr langen Weg vor sich. Und die Frage ist dabei nicht, ob er kann, sondern ob er will.


In den Tagen des Wahlkampfes tauchte in den sozialen Medien ein langes Interview mit ihm auf, in dem er sich dafür rühmt, wie er an seiner Universität den Hijab durchsetzte, bevor dieser überhaupt zum Gesetz wurde. Er versteht sehr gut die Gewalt gegen Frauen zu kritisieren, doch er zeigt bei allen seinen Auftritten, in welchem kulturellen und religiösen Raum er sich bewegt. 


Innenpolitisch steht er vor einem riesigen Berg von Problemen. Nicht nur in der Frauenfrage, die für die Islamische Republik zu einer kulturell existenziellen Krise herangewachsen ist. Allein, dass er über die Gewalt der Sittenwächter reden darf, zeigt, dass das Regime auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser Krise ist.


Für Khamenei ist Pezeschkian aus einem noch wichtigeren Grund ein Rosaneh, eine Öffnung aus einem sehr bedrohlichen, mörderischen und zugleich realen Szenario. Das, was sich in Gaza abspielt, die unaufhörlichen Kriegsspiele an der libanesisch-israelischen Grenze, in die Iran über kurz oder lang hineingezogen werden wird, und last but not least die Person Donald Trump, der ante porta vermutet wird: Für all das braucht Khamenei momentan keinen Jalili, mit dem die Welt mehr Armageddon als Ausweg assoziiert.


Die Islamische Republik habe einen moderaten Präsidenten, der auf der Suche nach Verständigung sei: Allein diese Schlagzeile schafft eine Atempause. Dieses von innen- und außenpolitischen Krisen geschüttelte Staatsgebilde befindet sich zudem in einem sehr gefährlichen Übergangsprozess zur Post-Khamenei Ära


Pezeschkian ist kein Mullah, hat keine Partei, kein Netzwerk, und, so weit bekannt, ist er in keine mafiöse Struktur verwickelt. Und er ist ein tief Gläubiger, dessen Priorität die Bewahrung des Systems ist. Das macht ihn nicht gefährlich. Dass er mit seinen Auftritten und Äußerungen Kritiker im Inneren besänftigt und nach außen die Mäßigung des Systems präsentiert, macht ihn zum geeigneten Präsidenten des Tages. Was morgen geschieht, ist eine andere Frage.♦


Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von IranJournal



 

Massoud Pezeshkian hatte die Stichwahl der 14. Präsidentschaftswahlen im Iran gewonnen. Nach Angaben des iranischen Innenministeriums erhielt Pezeshkian 16.384.403 und damit etwas mehr als 53 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sein Gegner Saeed Jalili erhielt 13.538.179 Stimmen, 44 Prozent. 607.575 Stimmen wurden als ungültig gewertet. Die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang betrug mit insgesamt 30.530.157 abgegebenen Stimmen rund 49 Prozent.


Die Amtseinführung von Pezeshkian wird Anfang August stattfinden, wobei seine Ernennung durch den Obersten Führer Ali Khamenei bestätigt werden muss. Ein Mitglied des Präsidiums des iranischen Parlaments teilte der staatlichen Nachrichtenagentur ISNA mit, dass eine kurze Sitzung geplant sei, in der Pezeshkian von seinem Mandat als Parlamentsabgeordneter zurücktreten wird.


Glückwünsche vom Obersten Führer


Ali Khamenei gratulierte Massoud Pezeshkian zu seinem Wahlsieg. In seiner Botschaft hob Khamenei hervor, dass das iranische Volk in beiden Wahlgängen insgesamt über 55 Millionen Stimmen abgegeben habe, was eine eindrucksvolle und unvergessliche Demonstration der Verantwortung und Begeisterung der Bevölkerung darstelle. Khamenei lobte die Wahlbeteiligung als brillanten und unvergesslichen Akt im Angesicht der von den Feinden des iranischen Volkes inszenierten Wahlboykott-Kampagnen, die darauf abgezielt hätten, „Hoffnungslosigkeit und Stillstand“ zu verbreiten. Noch zwei Tage vor dem zweiten Wahlgang hatte Khamenei seine Unzufriedenheit über die niedrige Wahlbeteiligung im ersten Wahlgang zum Ausdruck gebracht, die offiziellen Berichten zufolge bei etwa 40 Prozent lag.


Internationale Reaktionen


Der russische Präsident Wladimir Putin gratulierte Pezeshkian zu seinem Wahlsieg und drückte seine Hoffnung aus, dass die bilateralen Beziehungen weiter gestärkt würden. In einer Erklärung des Kremls sagte Putin, er hoffe, dass Pezeshkian als Präsident die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern in allen Bereichen weiter ausbauen werde.


Auch der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari gratulierte Pezeshkian und betonte die brüderlichen Beziehungen zwischen Pakistan und Iran. Zardari äußerte die Hoffnung, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern unter Pezeshkians Führung weiter gestärkt werde.


Reaktionen im Iran


Auch der frühere iranische Präsident Hassan Rouhani gratulierte Pezeshkian und betonte, dass das iranische Volk in den Wahlen für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Welt und die Wiederbelebung des Atomabkommens gestimmt habe.


Nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse stieg der Aktienindex in Teheran um 32.000 Punkte, und der Wechselkurs des US-Dollars fiel. Das Wirtschaftsnachrichtenportal Eghtesad-Online berichtete, dass der Aktienindex am Samstagmorgen auf 2.133.000 Punkte gestiegen sei.

Pezeshkian selbst bedankte sich auf seinem X-Account bei den Wähler*innen und rief zur Zusammenarbeit und Einheit auf: „Das ist erst der Anfang unserer gemeinsamen Reise. Nur durch eure Unterstützung und euer Vertrauen können wir die Herausforderungen bewältigen. Lasst mich nicht allein.“


Interne Spannungen bei den Konservativen


Nach der Niederlage von Saeed Jalili und der Bekanntgabe von Pezeshkians Sieg gab es innerhalb der konservativen Fraktion des iranischen Regimes Schuldzuweisungen. Reza Panahian, Sohn des einflussreichen Klerikers Alireza Panahian, der dem Obersten Führer Ali Khamenei und dem gescheiterten Kandidaten Mohammad Bagher Ghalibaf nahesteht, machte Jalilis Anhänger*innen für die Niederlage verantwortlich und warf ihnen vor, realitätsfremd gehandelt zu haben. Ähnlich äußerte sich Mohammad Saeed Ahadian, ein Vertrauter von Mohammad Bagher Ghalibaf, und zog Parallelen zur Präsidentschaftswahl von 2013, die Hassan Rouhani gegen mehrere konservative Kandidaten gewonnen hatte.

Hamid Rasaei, ein bekannter konservativer Politiker und Parlamentsabgeordneter, gratulierte dem neuen Präsidenten in einem Video und betonte die aus seiner Sicht hohe Wahlbeteiligung als Zeichen der Unterstützung des iranischen Volkes für das islamische Regime.

Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von IranJournal

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