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Gezeichnet – über Kunst und Protest von Maryam Mazrooei

Die Fotojournalistin, Malerin und Autorin Maryam Mazrooei beteiligte sich 2022 an den Demonstrationen im Iran. Sie wurde inhaftiert und gefoltert. Aus dem Exil ­berichtet sie nun über die Hintergründe und Folgen der Proteste. 




Das Trauma in der Kunst: Maryam Mazrooei vor einem ihrer Bilder über Proteste und Polizeigewalt im Iran (2023).

Aus Istanbul Sabine Küper-Büsch


Maryam Mazrooeis jüngste Bilder sind keine Fotografien. Sie sind gezeichnet oder gemalt und zeigen einen Frauenkörper mit Spuren grausamer Misshandlungen. Der Rücken ist von Peitschenhieben zerfetzt. Die Frau sitzt zusammengekauert und drückt ihr Gesicht in die Hände. Mit lebensgroßen Selbstporträts versucht die iranische Fotografin, Malerin und Schriftstellerin, jene zwölf Tage zu verarbeiten, die sie in Teheran in Untersuchungshaft zugebracht hat.


Während der Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam im Herbst 2022 gab Maryam Mazrooei Fotoaufnahmen von den Straßen Teherans an Kolleg*innen von der Tageszeitung The Guardian und andere britische Medien weiter. In den Online-Netzwerken hielt sich die Fotojournalistin aus Sicherheitsgründen zunächst zurück. In der Debatte um den Verschleierungszwang im Iran bezog sie allerdings klar Stellung: Auf Fotos in Online-Netzwerken ist sie mit offenen langen Haaren zu sehen. Am 22. September 2022 teilte Mazrooei dann Fotos von Protesten, auf denen einige Frauen ihre Schleier wegwerfen. Drei Wochen später schnappte die Falle zu. Die Fotografin ist sich sicher, dass sie bereits einige Zeit zuvor ausgespäht wurde. "Ich war im Haus meines Vaters, als mein Laptop plötzlich nur noch Datensalat anzeigte und sich verselbstständigt zu haben schien. Dateien wurden vor meinen Augen gelöscht. Die Geheimpolizei hatte ihn gehackt", erinnert sich Mazrooei. Sie verließ sofort das Haus und eilte zur Wohnung eines Freundes. "Dort warteten sie schon auf mich", sagt sie leise.


„Mir geht es darum, die Situation von Frauen sichtbar zu machen, die selbst kaum eine Stimme haben.“ (Maryam Mazrooei)


Tagelang dauerten die Verhöre und die schweren Misshandlungen an: Einzelhaft, Schlafentzug, Mangelernährung, Verweigerung des Toilettengangs, Prügel. Die Peiniger schlugen sie immer wieder mit einer Peitsche, die Narben auf Körper und Seele hinterlassen hat. "Sie hatten mitbekommen, dass mich ein Kollege aus dem Ausland während der Proteste auf meiner iranischen Handynummer angerufen hatte. Sie befragten mich nach meinen ausländischen Medienkontakten, nach Kontakten zu Ausländern im Iran und vieles mehr", berichtet die Fotografin. "Sie hatten eine Art Drehbuch im Kopf, das ich bestätigen sollte." Die Sicherheitskräfte konfrontierten sie mit uralten Textnachrichten eines Ex-Freundes. Der Mann war Staatsbürger eines EU-Landes. Es ging darum, einen angeblichen Spionagevorwurf gegen sie zu verfestigen. Der Guardian berichtete über Maryam Mazrooeis Verschwinden. Nach ihrer Freilassung gelang ihr mit Hilfe von Freund*innen die Ausreise in die Türkei.

Nach mehr als einem Jahr des Schweigens möchte Maryam Mazrooei angesichts der massiven Menschenrechtsverletzungen im Iran den Blick auf die Islamische Republik und deren Sittenkodex lenken. "Diese ganze Fassade von Religion und Moral verhüllt ein Gebäude infamer Lügen. Die Debatte um die Bekleidung der Frauen und die Grausamkeiten, wie die Hinrichtungen von Demonstrierenden, werden dazu benutzt, Entsetzen im In- und Ausland auszulösen und die Öffentlichkeit zu beschäftigen. Denn im Hintergrund läuft Korruption im großen Stil. Die Wirtschaftskrise und die schmutzigen Geschäfte der Regierung sind die wirklichen Konflikte. In Wahrheit geht es um Machtmissbrauch und Machterhalt." Was die Verschränkung von politischer Machtkonzentration und Korruption betrifft, steht der Iran laut Transparency International auf Platz 147 von 180 Ländern. Noch schlechter steht es um die Pressefreiheit. In diesem Ranking liegt er auf Platz 177 von 180 Ländern. Nur in Vietnam, China und Nordkorea wird die ­Pressefreiheit noch erbarmungsloser ­unterdrückt.


Drastische Folgen des Aufbegehrens


Maryam Mazrooei sitzt in einem Coworkingspace im Istanbuler Stadtteil Galata an einer Präsentation ihrer vielfältigen Arbeit. Sie ist zu einem Vortrag über afghanische Kolleginnen eingeladen, die wie sie im Exil leben. "In jeder Lebensphase habe ich versucht, neue Ausdrucksmittel zu finden", sagt sie mit fester Stimme und zeigt ihre Fotos aus Afghanistan, dem Irak und dem Iran. Seit 2012 war die couragierte Journalistin immer wieder in Krisengebieten unterwegs. Ihre Fotoreportagen konzentrieren sich vor allem auf Frauenporträts. "Mir geht es darum, die Situation von Frauen sichtbar zu machen, die selbst kaum eine Stimme haben." So dokumentierte sie 2016 unter Kriegsbedingungen die Situation der jesidischen Frauen im Irak, die von Angehörigen des IS systematisch vergewaltigt und entführt worden waren.


Als sich im Iran 2022 an der Tötung Jina Mahsa Aminis ein Aufstand entzündete, ging sie spontan mit auf die Straße. "Die Furchtlosigkeit der jungen Leute hat mich mitgerissen", sagt sie. "Sie verfluchten den religiösen Führer wegen seiner Tyrannei und hatten keine Angst, selbst als die Revolutionsgarden anfingen scharf zu schießen." Am 14. November 2022, nachdem sie aus der Haft entlassen worden war und den Iran bereits verlassen hatte, erschien im Guardian Maryam Mazrooeis Artikel "Mit nur sieben Jahren musste ich meine Haare bedecken. Jetzt kämpfen die Frauen im Iran für ihre Freiheit." Darin schildert sie eine Kindheit, die vom Verschleierungszwang überschattet war. Der Text ist ein flammendes Plädoyer für die Proteste. Doch die Folgen des Aufbegehrens sind verheerend. Maryam Mazrooei verfolgt die derzeitige ­Situation im Iran mit Grauen. "'Frauen, Leben, Freiheit' heißt der Slogan der Bewegung", sagt sie, "doch zu viele haben ihr Leben verloren."


481 Tote dokumentierte die iranische Menschenrechtsorganisation HRA allein in den ersten 80 Tagen der Proteste. Darunter waren 68 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Im Jahr 2023 wurden der NGO zufolge 746 Menschen hingerichtet.

Amnesty International protestierte gegen die Todesurteile, Schauprozesse und Willkürjustiz. "Die Verurteilung der beiden Journalistinnen Nilufar Hamedi und Elaheh Mohammadi im Oktober 2023 zu sieben und sechs Jahren Haft zeigt, wie sehr es der iranischen Regierung darauf ankommt, kritischen Journalismus im Keim zu ersticken", erklärt Dieter Karg, ­Iran-Experte von Amnesty Deutschland. Die Journalistinnen hatten als erste über den Tod Jina Mahsa Aminis im Polizeigewahrsam berichtet. Anfang des Jahres 2024 befanden sich 21 Medienvertreter*innen in Haft und waren dort wie alle politischen Gefangenen großen Risiken ausgesetzt. Amnesty dokumentierte im vergangenen Jahr die Fälle von 45 Männern, Frauen und Minderjährigen, die in der Haft Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt erlitten. Demütigung als Strategie.


Ihre Erfahrung von Freiheitsentzug, Gewalt und massiver Einschüchterung versucht Maryam Mazrooei so gut es geht künstlerisch zu verarbeiten. "Ich habe immer wieder manische Phasen, in denen ich malen, fotografieren, schreiben, durch die Straßen rennen muss, weil ich sonst ersticke."



Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Amnesty.

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