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„Die Grenzen des Sagbaren verschieben“


Omid Rezaee arbeitete im Iran als Chefredakteur eines Studierendenmagazins, das 2011 wegen regimekritischer Beiträge verboten wurde, die darin erschienen waren. Rezaee flüchtete in den Irak. Seit 2015 lebt er in Deutschland. Er schreibt für deutsche Medien und für iranische Exilmedien.

Interview: Carl Melchers Sie haben selbst erlebt, wie das ist, wenn im Iran ein Medium verboten wird. Wie läuft das ab?

Als ich festgenommen wurde, warf man mir hauptsächlich die Inhalte unserer Zeitschrift vor. Das war ein Studierendenmagazin aus der Stadt Rascht mit einer kleinen Auflage von 600 oder 700 Stück. Wenn in der Hauptstadt Teheran eine landesweit erscheinende Zeitung verboten wird, ist das etwas anderes: Der Herausgeber wird von der Zensurbehörde einbestellt, manchmal gibt es einen Gerichtsprozess, in vielen Fällen aber auch nicht. Druck auf Journalist*innen wird in erster Linie nicht durch die Verbote von Medien ausgeübt, sondern schon mit der juristischen Verfolgung individueller Beiträge und Äußerungen in den sozialen Medien.

Was bedeutet das für die Arbeitsbedingungen von Journalist*innen? Als ich noch relativ neu in Deutschland war, hat mich das Niveau der Pressefreiheit in Deutschland überrascht – was man sagen kann, wie weit man gehen kann, besonders gegenüber dem Staat, der Regierung. Im Iran ist das komplett anders. Diejenigen, die im Staat wirklich die Macht haben – der Oberste Führer Ali Khamenei oder die Revolutionsgarden –, darf man nicht kritisieren.

Im Iran ist Journalismus immer ein Akt des Widerstands. Diese Art zu erzählen, ist ein politischer Kampf. Also einen Kommentar über eine Rede Khameneis schreiben – das ­ginge nicht? Auf keinen Fall. Es ist auch nicht so, dass einige das machen und dann mit den Konsequenzen leben, als Journalist*in macht man das einfach nicht. Es wird ­daher auch wenig und selten über diese Ebene der Politik berichtet und wenn, dann übernimmt man eins zu eins die Veröffentlichungen aus deren Pressestelle. Über den Präsidenten, sein Kabinett und das Parlament kannst du schreiben, aber als Journalist*in ist dir auch völlig klar, dass dort nicht die Entscheidungen fallen.

Bedeutet das, dass man sich stets selbst zensiert? Das große Problem im Iran ist, dass Journalist*innen meist gar nicht genau wissen können, was erlaubt ist und was nicht. Dazwischen gibt es eine fast alles betreffende graue Zone ständiger Ungewissheit. Und was verfolgt wird, ist durchaus stimmungsabhängig, je nachdem, wie das Regime gerade drauf ist oder an welchen Staatsanwalt oder Richter du gerätst. Kommt ein neuer Generalstaatsanwalt ins Amt, sind die Einschränkungen auf einmal anders. Die fehlende Pressefreiheit betrifft unabhängige Medien auch ökonomisch, weil sie als Investitionsobjekte unattraktiv sind. Entsprechend zählen die journalistischen Arbeitsbedingungen im Iran auch mit Blick auf Löhne, Honorare, Renten und Versicherungen zu den schlechtesten der Welt.

Warum wird man dann überhaupt Journalist*in? Journalis*in wirst du immer aus Leidenschaft – egal wo. Man will berichten, man will schreiben, man will Geschichten erzählen und aufklären. Für mich bedeutet Journalismus Storytelling. Ich möchte das Geschehen so nah und real wie möglich aufzeichnen, verstehen und weitererzählen. Im Iran ist Journalismus daher immer ein Akt des Widerstands. Diese Art zu erzählen, ist ein politischer Kampf. Man kämpft um Pressefreiheit, indem man immer wieder versucht, in der Berichterstattung die Grenzen des Sagbaren zu verschieben – in Richtung mehr Freiheit.

Carl Melchers ist Politologe und freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.



Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Amnesty International, Creative Commons (attribution, non-commercial, no derivatives, international 4.0) licence.

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