Das internationale Abkommen zum iranischen Atomprogramm von 2015 galt als großer diplomatischer Erfolg: internationale Überwachung gegen mehr Handel lautete der Grundsatz. Doch dann stiegen die USA aus. Der politische Analyst Cornelius Adebahr skizziert die Vorgeschichte und was vom "Deal" geblieben ist.
Zwölf Jahre lang dauerten die Verhandlungen, bis im Juli 2015 das internationale Abkommen zum iranischen Atomprogramm beschlossen wurde (der Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA). Es war ein großer Erfolg: Als Gegenleistung für Irans kontrolliertes Herunterfahren seiner nuklearen Aktivitäten hoben die Vereinten Nationen (UN), die Europäische Union (EU) und die USA schrittweise ihre Wirtschaftssanktionen auf. Internationale Überwachung gegen mehr Handel – so lautete der "Deal", der die Gefahr einer iranischen Bombe bannen sollte.
Teheran hatte das Streben nach einer Atombombe immer konsequent abgestritten. Zugleich trug es nur sehr widerwillig oder eben gar nicht zur Aufklärung verdächtiger Aktivitäten rund um sein ziviles Atomprogramm bei. Auch machte und macht die Führung der Islamischen Republik keinen Hehl aus ihrem Wunsch, Israel aus der Region verschwinden zu sehen. Ebenso stellte sich die Frage, warum Iran mit den viertgrößten Vorkommen an Erdöl und den zweitgrößten Erdgasreserven der Welt so viel Geld in ein Atomprogramm investieren sollte, wenn es damit nicht – auch – militärische Zwecke verfolgte.
Gleichwohl fordert Iran sein "Recht" auf ein ziviles Atomprogramm ein. Denn das internationale Regelwerk – in erster Linie der Atomwaffensperrvertrag von 1970 – verbietet zwar allen Staaten (mit Ausnahme der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der UN) den Besitz der Atombombe ("Nichtverbreitung"), es fördert aber gleichzeitig gezielt die friedliche Nutzung von Kernenergie. Letztere ist auch ein Anliegen der iranischen Zivilgesellschaft: Iranerinnen und Iraner pflegen ein durchaus kritisches Verhältnis zu ihrer Regierung, doch liegt ihnen die Bedeutung ihres Landes als "große Nation" sehr am Herzen. Dazu gehört auch der wissenschaftliche Fortschritt und damit die Verfügbarkeit von Nukleartechnologie. Das Beherrschen des sogenannten Brennstoffkreislaufs – von der Urananreicherung über die Kernspaltung bis hin zur Wiederaufarbeitung der Abfallprodukte – ist eine Leistung, die nur wenige Länder der Welt gemeistert haben. Von dort ist es allerdings nur ein kleiner Schritt zum möglichen Bau einer Bombe.
Im Grunde drehte sich die Auseinandersetzung mit Iran um die Frage, ob die internationale Staatengemeinschaft darauf vertrauen kann, dass das Land seine sogenannte "nukleare Latenz" – das heißt die technologische Fähigkeit, bei Bedarf in kurzer Zeit eine Atomwaffe zu entwickeln – nicht nutzen wird. Aufgrund seiner theokratischen Staatsform mit eingebauter Feindschaft gegenüber den USA und Israel sowie seines regionalen Machtstrebens wollten sich viele Länder nicht auf Irans Zusicherungen verlassen. Als 2002 Details über Irans Arbeiten an einem geheimen Atomprogramm an die Öffentlichkeit gelangten, drängte die Weltgemeinschaft daher darauf, dieses besser zu kontrollieren.
Das internationale Atomabkommen von 2015: ein Erfolg europäischer Diplomatie
Den Anfang eines fast zwölf Jahre dauernden Verhandlungsmarathons machten 2003 die Europäer, genauer gesagt: Deutschland, Frankreich und Großbritannien, später verstärkt durch die EU in Person des Hohen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik. Ihr Ziel war es, durch Diplomatie sowohl die "iranische Bombe" als auch einen weiteren Krieg in der Region – der Einmarsch der USA im Irak lag erst wenige Monate zurück – zu verhindern. Als diese Gespräche nach zwei Jahren scheiterten, zog der UN-Sicherheitsrat die Angelegenheit als "Bedrohung des Friedens und der internationalen Sicherheit" an sich. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO), welche die Einhaltung des Atomwaffensperrvertrags überwacht, hatte nach verschiedenen Inspektionsrunden eine militärische Dimension des iranischen Programms nicht ausschließen können.
Zwischen 2006 und 2010 belegten immer schärfere Resolutionen des UN-Sicherheitsrats das iranische Programm und die Regierung in Teheran mit Beschränkungen. Wichtig war hierbei, dass nicht nur "der Westen" Druck auf Teheran ausübte, sondern auch China und Russland als Ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates die Maßnahmen mittrugen. Da Iran die Forderungen des UN-Sicherheitsrats ignorierte, verschärften die Europäer und die USA ab 2011 gemeinsam ihre Sanktionen, indem sie auch den Ölhandel sowie Finanztransfers mit Iran verboten. Es ging nunmehr darum, das iranische Regime durch wirtschaftlichen Druck zu einem Einlenken in der Nuklearfrage zu bringen.
Am 14. Juli 2015 schließlich erreichten die Verhandlungspartner einen umfassenden Kompromiss und einigten sich in Wien auf das Atomabkommen. Kern der internationalen Übereinkunft ist die deutliche Reduzierung der iranischen Nuklearaktivitäten: dazu zählt die substanzielle Beschränkung der Zahl der Zentrifugen, die zur Urananreicherung verwendet werden, und der Bestände an angereichertem Uran sowie der Verzicht auf eine eigenständige Wiederaufarbeitung von Brennstäben. Hinzu kommen die systematische und umfassende Kontrolle durch die IAEO. Im Gegenzug heben die Verhandlungspartner schrittweise alle auf das Atomprogramm bezogenen Sanktionen auf und bieten – allen voran die Europäer und die Russen – ihre Unterstützung bei der zivilen nuklearen Zusammenarbeit an.
Das Abkommen war ein großer diplomatischer Erfolg, weil es einen drohenden Krieg mit den Mitteln der Diplomatie (darunter auch Wirtschaftssanktionen) verhinderte. Darüber hinaus stärkt es seither das internationale Regelwerk zur Nichtverbreitung, indem Iran nach vergangenen Verfehlungen nun starken Kontrollen unterworfen ist. Und auch wenn das Abkommen selbst kein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den acht Beteiligten ist, so erlangte es mit der Annahme durch den UN-Sicherheitsrat in dessen Resolution 2231 weltweite Verbindlichkeit.
Die Umsetzung des Abkommens: auf Euphorie folgte Ernüchterung
Nach Abschluss des Atomabkommens hoben die Vereinten Nationen, die USA und die EU ihre Sanktionen vereinbarungsgemäß auf. Ab Januar 2016 nahm der Handel mit Iran in allen Bereichen wieder Fahrt auf, und die iranische Wirtschaft wuchs in dem Jahr um zwölf Prozent. Doch mit der Wahl von US-Präsident Donald Trump im November desselben Jahres folgte auf die anfängliche Euphorie schnell Ernüchterung: Die Sorge vor einem Politikwechsel in Washington hielt Unternehmen und potenzielle Investoren von weiteren Geschäften in und mit Iran ab.
Gerade aus iranischer Sicht war dies fatal. Denn während Teheran – wie von der IAEO bestätigt – alle Auflagen des Abkommens eingehalten hatte, blieb der versprochene wirtschaftliche Aufschwung kurzlebig. Trotz der beginnenden Demontage des Abkommens durch die neue US-Administration gelang dem als gemäßigt geltenden Präsident Hassan Rouhani im Mai 2017 die Wiederwahl. Während die Konservativen und Hardliner im Land gegen das Ausbleiben von Handel und Wachstum wetterten, konnte er die Moderaten und Reformer mit dem Argument um sich scharen, dass allein er das Abkommen noch retten könne.
Hiervon unbeeindruckt kündigte US-Präsident Trump im Mai 2018 das Abkommen auf und die Wiedereinführung aller US-Sanktionen an. Seitdem verfolgt Washington eine Politik des "maximalen Drucks", deren Ziel jedoch unterschiedlich formuliert wird: Mal geht es um einen "besseren Deal", mal um eine "Verhaltensänderung" Teherans, dann wieder um einen Regimewechsel. Die Europäer haben sich bislang geweigert, sich diesem erratischen Kurs anzuschließen.
Doch haben die Regierungen Europas auch erkennen müssen, wie begrenzt ihre Mittel sind. Washington machte deutlich, dass Unternehmen mit Iran-Geschäft vom US-Markt ausgeschlossen würden. Schon bald zogen sich viele europäische Firmen aus dem Irangeschäft zurück. Auch europäische Banken verweigerten aus Furcht vor US-Sanktionen das Abwickeln von Finanztransfers mit Iran – sogar für den nach US-Recht erlaubten Handel mit Lebensmitteln oder Medikamenten.
Gegen die geballte Marktmacht der USA hat der politische Druck aus den europäischen Hauptstädten, die Unternehmen mögen sich nicht an US-Sanktionen, sondern nur an EU-Gesetze halten, wenig ausrichten können. Die von Deutschland, Frankreich und Großbritannien aufgebaute Tauschbörse INSTEX (Instrument in Support of Trade Exchanges; zu Deutsch: Instrument zur Unterstützung des Handelsaustausches) soll dazu dienen, Exporte europäischer Unternehmen direkt mit iranischen Ausfuhren zu verrechnen, sodass keine Zahlungen zwischen europäischen und iranischen Unternehmen nötig wären – und die US-Finanzsanktionen nicht greifen. Die Unternehmen wollen dieses Instrument aus Sorge vor etwaigen Strafmaßnahmen Washingtons jedoch nicht nutzen.
Die wirtschaftliche Belebung Irans bleibt deshalb aus. Gerade aufgrund des Ölboykotts fehlen dem Regime wichtige Deviseneinnahmen. Schon um den Jahreswechsel 2017/18 erschütterten heftige Proteste das Land, in denen die Menschen ihrem Unmut über die Wirtschaftslage und das politische System Irans Luft machten. Im November 2019 folgten landesweit massive Proteste gegen die Anhebung der Benzinpreise. Die Regierung ließ den Sicherheitsapparat hart zurückschlagen; von bis zu tausend Toten ist die Rede.
Nicht zuletzt rücken mit dem von den USA provozierten Streit um das Atomprogramm wieder die Punkte in den Vordergrund, die Irans regionale Rolle, sein Raketenprogramm oder die Unterdrückung der Bevölkerung betreffen. Genau diese Themen waren bei den internationalen Verhandlungen zuvor ausgeklammert worden, um eine Einigung zur Beseitigung der größten Bedrohung – einer iranischen Atombombe – überhaupt möglich zu machen.
Tot oder lebendig? Was vom Deal geblieben ist
Während Washington an seiner Politik des maximalen Drucks festhält, hat die Islamische Republik nach einem Jahr der "strategischen Geduld" auf aktiven Widerstand geschaltet. Mit den Angriffen auf Öltanker vor der Straße von Hormus im Mai 2019 weitete sich die Konfrontation zwischen den USA – mit Israel sowie einigen arabischen Golfstaaten im Hintergrund – und Iran aus. Flugzeugträger wurden entsandt und Drohnen abgeschossen, Tanker beschlagnahmt und Ölanlagen angegriffen. Die Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani durch das US-Militär im Januar 2020 nach mutmaßlich von Iran gesteuerten Angriffen auf die US-Botschaft in Bagdad brachte beide Länder an den Rand der direkten militärischen Auseinandersetzung.
Auch beim Atomabkommen wollte Iran die wirtschaftlichen Ausfälle nicht länger hinnehmen und begann im Sommer 2019, die Einhaltung seiner Verpflichtungen zurückzufahren. Im Januar 2020 erfolgte der in dieser Hinsicht letzte Schritt, demzufolge Iran sich an keine Beschränkungen durch den Deal mehr gebunden fühlt, aber weiterhin mit der IAEO zusammenarbeitet. Teheran betont, dass es sich wieder an alle Bestimmungen des JCPOA halten werde, sobald ihm die versprochenen wirtschaftlichen Vorteile zugutekommen. Das ist angesichts der aktuellen Position Washingtons jedoch nicht denkbar. Die Zukunft der internationalen Überwachungsmaßnahmen bleibt ungewiss.
Neben gewaltsamen Eskalationen zeigen beide Seiten aber auch immer wieder Gesprächsbereitschaft. Rund um die UN-Generalversammlung im September 2019 bemühte sich Frankreich, eine direkte Begegnung zwischen dem amerikanischen und iranischen Präsidenten zu vermitteln. Auch im Zusammenhang mit der Tötung Soleimanis konnten beide Seiten durch moderate Reaktionen deeskalieren und einen offenen Krieg vermeiden. Trotz solcher Zeichen einer möglichen Entspannung bleibt die Auseinandersetzung zwischen den USA und Iran bedrohlich. Die Islamische Republik pflegt seit über 40 Jahren die Feindschaft mit dem "großen Satan" als Kernelement ihrer Weltsicht und Staatsräson; Washington hingegen verwirrt aktuell mit seiner Mischung aus Ziel- und Rücksichtslosigkeit gerade auch seine Partner, in Europa ebenso wie in der arabischen Welt.
Gerade weil die Europäer nicht über die Mittel für ein aktives Einschreiten in die regionalen Konfliktherde verfügen, ist Einigkeit derzeit ihr höchstes Gut. Deshalb ist es positiv, dass sich weitere EU-Mitglieder der neuen Tauschbörse zum Aufrechterhalten des Handels mit Iran angeschlossen haben. Nun müssen die Europäer diese mit Leben füllen, durch eine sorgfältige Auswahl der ersten unternehmerischen Transaktionen ebenso wie durch Unterstützung beispielsweise durch staatliche Kredite oder Garantien. Gleichzeitig müssen die Europäer zusammenstehen, wenn Iran die regionale Sicherheit bedroht oder den freien Handel im Persischen Golf behindert. Damit signalisieren sie Teheran, dass sich auch die Islamische Republik an grundlegende Regeln halten muss – und Europa entsprechende Verletzungen nicht unbeantwortet lässt. Nur mit einer derart aktiven Rolle können die Europäer noch Handlungsfähigkeit in dieser für Sicherheit und Wohlstand des Kontinents so zentralen Region bewahren.
War das Atomabkommen als ein erster Schritt hin zu einer möglichen regionalen Konfliktbeilegung gedacht, hat die Wirklichkeit – und hier vor allem der Politikwechsel der USA – für eine Umkehr der Verhältnisse gesorgt. Derzeit versperren fortdauernde bewaffnete Auseinandersetzungen wie der Syrien-Krieg, die offene Rivalität zwischen Saudi-Arabien und Iran, Israels Bedrohung durch Iran sowie die regionale Machtverschiebung von den Vereinigten Staaten zu Russland diesen Weg.
Für die Europäer währte die Freude über den diplomatischen Erfolg somit nur kurz. Tatsächlich befinden sie sich in einer neuen geopolitischen Auseinandersetzung, in der sie sich beweisen müssen und in der die – in sich schon schwierige – Rückkehr aller Parteien zu den Bestimmungen des Abkommens nur ein kleiner Stein in einem viel größeren Puzzle ist.
Original-Text: Bundeszentrale für politische Bildung | Cornelius Adebahr | Lizenz CC BY-NC-ND 4.0
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