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Iranisch-britische Malerin Soheila Sokhanvari: „Ich möchte ein komplettes Bild der Frauen entwerfen“



Soheila Sokhanvari, geboren 1964 im iranischen Shiraz, verließ das Land 1978, um in Großbritannien zu studieren.

Die iranisch-britische Malerin Soheila Sokhanvari über persische Miniaturen, mundtot gemachte Diven und den Fluch des Öls.

Interview: Brigitte Werneburg


Der Titel Ihrer neuen Ausstellung in Cambridge lautet "We could be heroes …", könnte er nicht auch "Women, Life, Freedom" heißen? Thematisieren Sie mit Ihren Porträts von Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Autorinnen aus der vorrevolutionären Zeit im Iran nicht den Kampf der Frauen um ihre Freiheit und ihr eigenes Leben?

Genau darum geht es mir. Ich denke, der Titel ist sehr wichtig für die Stimmung der Ausstellung, er setzt den Ton. Die Frauen im Iran waren immer sehr mutig, darauf will ich die Welt aufmerksam machen. Und ich möchte, dass sich die Besucher*innen der Zeit bewusst werden, in der diese Frauen ihre Karrieren verfolgten und Stars waren. Die Bilder zeigen, wie sie aussahen, und die Kompilation ­ihrer Songs vermittelt den Klang ihrer Stimmen, der Film zeigt, wie sie getanzt haben. Ich möchte ein komplettes Bild der Frauen entwerfen, wie sie lebten und arbeiteten.


Ist die von Ihnen gewählte Form, die Miniaturmalerei, auch eine Art politische Stellungnahme?

Ich verstehe mich als persische Miniaturmalerin durchaus in einem Akt des Widerstands. Die Kunst der Miniaturmalerei reicht über tausend Jahre zurück und wird traditionell mit der persischen Kunst identifiziert. Porträts sind eine heikle Angelegenheit, denn die Miniaturmalerei als Hofkunst ist stets auch Propaganda. Nach diesem Konzept lasse ich auch die Bilder der Sängerinnen, Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Autorinnen aus der vorrevolutionären Zeit im Iran wieder auferstehen, nun als Gegenpropaganda. Das iranische Regime wollte sie aus dem kollektiven Bewusstsein löschen, indem es ihre Filme verschwinden ließ, ihre Fotos und Songs und alles, was an sie erinnern könnte, aus den Bibliotheken, Archiven und aus dem Internet entfernt hat. Mir war es wichtig, das bittere Schicksal dieser Frauen in schöner Form zu vermitteln, ähnlich wie man eine bittere Medizin mit einem süßen Happen verabreicht. Auch das ist ein Argument für die Miniaturmalerei. Ich politisiere meine Kunst mithilfe dieser spezifischen Ästhetik, um das Interesse der Betrachter*innen für die Frauen zu wecken und ihr Bedauern über ihr tragisches Schicksal.





Sie malen Ihre Porträts nach Fotografien. Wo finden Sie die?

Fotografien sind offensichtlich politisch, denn sie repräsentieren die Identität einer Person, weswegen sie im Pass verwendet werden. Ich habe meine fotografischen Vorlagen im Internet gefunden. Manchmal war das sehr schwierig, zum Beispiel bei Kobra Saeedi, der Filmschauspielerin, Tänzerin und Autorin. Ich fand nur ein Bild ihres Gesichts, alle anderen Fotos hat das Regime vernichtet. Ich habe also erst einmal dieses Gesicht zwei Wochen lang angestarrt. Und dann hat dieses Gesicht angefangen, mit mir zu sprechen, es begann sich zu bewegen. Wenn man ein Bild nur lange genug anstarrt, dann fängt es an zu leben. Ich sah sie dann eine Zigarette rauchen. Ich bin zu meinem Mann gegangen, damit er mich in einer Pose fotografiert, in der ich rauche – nur dass ich den Pinsel statt einer Zigarette gehalten habe. Ihr Bild besteht also aus meinem Körper und ihrem Gesicht. Viele der Berühmtheiten wurden metaphorisch gesprochen von der Regierung geköpft, und ich musste ihnen dann meinen Körper leihen, weil nur noch der Kopf da war. Manchmal fand ich eine Frau nur im Film. Und bei diesen alten Filmen ist die Bildqualität oft sehr schlecht. Manchmal musste ich wirklich raten, wo die Augen waren und wo die Nase. Eine weitere Schwierigkeit ist, dass es auch keine Biografien der Künstlerinnen gibt, auch die sind vom Staat vernichtet worden. Das machte es sehr schwierig, sich vorzustellen, wie die Fragmente adäquat zu ergänzen sind.


Wie lange sitzen Sie an einem ­Gemälde?

Miniaturmalerei ist sehr schwierig, denn man malt ja auf kleinster Fläche. Wie kann man da den Blick eines Auges fassen? Ich arbeite mit den dünnsten Pinseln, die nur aus zwei, drei Haaren bestehen. Für ein Bild in der Größe von 12 x 16 Zentimetern brauche ich zwölf Wochen. Es ist ein Liebesdienst. Ich male auf Kalbspergament, zunächst zeichne ich die Umrisse mit Bleistift, und dann male ich mit Farbe, wobei ich als Hintergrund immer Grau wähle. Dadurch ergibt sich ein Gleichklang, in den auch meine anderen Farben einstimmen können.


Ihre Porträts bestechen durch präzise Inszenierung. Ihre Frauen tragen ausgesprochen modische Kleider und ähneln Diven im Westen zur damaligen Zeit, wie Jackie Kennedy oder Maria Callas …

Die von mir Porträtierten waren Darstellerinnen, Autorinnen, Dichterinnen, sie waren also sehr viel sichtbarer als die anderen Frauen im Iran. Meist kamen sie aus der Mittelklasse oder aus Arbeiterhaushalten. Sie hatten also einen ziemlich konservativen Hintergrund, mussten oft mit ihren Familien brechen, um ihre Karrieren zu verfolgen. Sie reisten und kamen auch in den Westen. Vor allem aber lernten sie durch Hollywood, durch das Kino. Mein Vater war Modedesigner. Er reiste zum ersten Mal 1974 in den Westen. In den 1950er und 1960er Jahren ­beobachtete er die internationale Mode durch die Linse Hollywoods. Bis 1953 gab es kein Modemagazin im Iran. Also kopierte man, was man im Kino sah. Die Frauen in Teheran waren aber immer sehr modebewusst – nach 1936, als es ­ihnen erlaubt wurde, unverschleiert in der Öffentlichkeit aufzutreten.

Wir wollen für die Frauen im Iran aufstehen, ihre Stimmen hörbar machen. Es ist sehr wichtig für sie, gesehen zu werden. Wir müssen ihre Geschichten am Leben halten. 


Sie setzen Ihre Frauen in ein Ambiente, in dem Ornamente auf Tapeten, Teppichen und Möbeln eine wichtige Rolle spielen. Was hat es damit auf sich?

Zunächst besteht die islamische Vorstellung von Kunst, besonders im religiösen Raum, darin, alles zu dekorieren, selbst die kleinste Fläche. Wird man in der Moschee von Schönheit überwältigt, beginnt man Gott zu verehren. Die Idee der geometrischen Muster als Teil der islamischen Architektur liegt darin, dass sie sich wiederholen und damit ewig sind. Sie sind das Symbol für die Weite des Universums und die Größe Gottes. Die Ornamente in meinen Arbeiten zeigen den Einfluss meiner Heimatstadt Shiraz auf mein Werk. Ich bin in die alten Hamams gegangen und die alten Gebäude mit diesen erstaunlich schön gemusterten Wänden, die mich mit Freude erfüllt haben. Ich will diese Kunst feiern. Zudem stellen die Ornamente meine Protagonistinnen in eine nicht-westliche Umgebung. Diese Frauen sind keine westlichen Frauen. Ich will ihren persisch-traditionellen Hintergrund zeigen. Die Muster in meinen Bildern sollen die Betrachter*innen durch Schönheit überwältigen, damit sie die schlimmen Schicksale besser verdauen können.


Können Sie einige der Porträtierten vorstellen und erzählen, was sie gemacht haben, wie sie gelebt haben und wie sich die Iranische Revolution auf ihr Leben ausgewirkt hat?

Kobra Saeedi, von der ich schon gesprochen habe, war eine Filmemacherin, Schauspielerin, Tänzerin, eine Dichterin. Vor der Revolution war sie sehr berühmt. Nach der Revolution nahm sie an einem der Anti-Hijab-Proteste in Teheran 1979 teil und filmte auch. Weil sie berühmt war, wurde sie verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Dort wurde sie mit Elektroschocks gefoltert, ihr Haus wurde geplündert, ihr Bankkonto eingefroren. Als sie endlich freikam, war sie ohne Geld und obdachlos. Sie lebte viele Jahre in den Straßen von Teheran, bis eine Freundin, die Schauspielerin Pouri Banaaei, ihr eine Hütte außerhalb von Teheran organisierte, damit sie wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte. Es gibt viele solcher Geschichten. Frauen wurden zum Tode verurteilt wie Fereshteh Jenabi, die ich im Bild "Woman in the Mirror" porträtiert habe. Sie musste sich 20 Jahre lang verstecken und starb mit 50 Jahren.

Ich zeige Bilder, die ich mit Rohöl gezeichnet habe. Die Geschichte von Irans Öl ist traurig, es ist Segen und Fluch.


Die Situation der Freiheits- und Menschenrechte im Iran ist heute dramatischer denn je. Haben die Exil-Iraner*innen untereinander Kontakt?

Viele von uns Exil-Iraner*innen verbünden sich außerhalb des Landes. Wir engagieren uns, organisieren Proteste. Wir wollen für die Frauen im Iran aufstehen, ihre Stimmen hörbar machen. Es ist sehr wichtig für sie, gesehen zu werden. Wir müssen ihre Geschichten am Leben halten.


Eine Ursache für die verhängnisvolle politische Geschichte des Irans ist sein Ölreichtum. Wie setzen Sie sich mit diesem Thema auseinander?

Ich zeige Bilder, die ich mit Rohöl gezeichnet habe. Die Geschichte von Irans Öl ist traurig, es ist Segen und Fluch: 1907 war Iran ein bitterarmes Drittweltland. Mit dem Öl kamen die Modernisierung, aber eben auch die korrupten Regierungen, die sich die Taschen füllten. Nachdem Präsident Mohammad Mossadegh 1951 die Ölindustrie verstaatlicht hatte, haben ihn die Briten 1952 mit Hilfe der CIA gestürzt und den Schah wieder eingesetzt. Meine Rohölzeichnungen haben das gleiche kleine Format wie meine Miniaturgemälde. Sie basieren auf alten Fotografien meiner Familie, die ich mit Medienbildern aus den 1960er und 1970er Jahren mische. Ich habe ein Bild von Benno Ohnesorg gemacht, der in Berlin während des Schahbesuchs 1967 erschossen wurde, ich mische dieses Pressebild mit Familienfotos. Ich möchte der Familie einen zeitgeschichtlichen Kontext geben und zeigen, wie die Ereignisse in einem Land die in ­einem anderen Land beeinflussen.


Brigitte Werneburg ist freie Journalistin. 


Second publication by courtesy of Amnesty International, Original-Text 

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