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„Hunderttausende Exil-IranerInnen bodenlos enttäuscht“ 

Warum weigern sich westliche PolitikerInnen, harte Sanktionierungen gegen die Elite der Islamischen Republik vorzunehmen? Was steht einer Listung der Revolutionsgarden entgegen? Ein Kommentar.


Die anonym bleiben wollenden AutorInnen schreiben zu Ihrem Kommentar, dieser sei Ergebnis zahlreicher Diskussionen in Twitter-Spaces, Beiträgen der Community.



Einheiten der Revolutionswächter bei einer Militärparade in Teheran, CC BY 4.0, Mohammad Sedagh Heydari via Wikimedia Commons



Am Donnerstagmorgen (19.01.23) überraschte eine kurze Nachricht zum Iran via Twitter: „In den iranischen Staatsmedien wird berichtet über das gestrige Treffen zwischen dem IR Außenminister und dem EU-Außenbeauftragten Borrell, der gesagt haben soll, dass die Resolution des EP [mit der Kernforderung, die Revolutionsgarden der IR als Organisation auf die EU-Terrorliste zu setzen] eine sehr `emotionale` Sache und nicht Meinung der EU sei.“


Josep Borrell Fontelles, Foto: European Union, 2020, Dati Bendo

Selbstverständlich räumte die Autorin der Nachricht, die österreichische Diplomatin Shoura Hashemi, gleich ein, dass deren Authentizität durch die nachgerade genüssliche Verbreitung durch das Regime nicht unbedingt verbürgt, die Aussage selbst und das Herausstellen des Protagonisten jedoch aus verschiedenen Gründen bemerkenswert sei. Schließlich entzieht sich Borrell der Auseinandersetzung unter anderem mit dem Europäischen Parlament in Strasbourg, vermeidet Interviews, trifft sich jüngst – gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Macron – mit dem Iranischen Außenminister zu Vorsondierungen um eine Neuverhandlung des Atomabkommens und vertritt und behauptet argumentlos öffentlich, es gäbe zu Verhandlungen mit dem Iran, also dessen Staatsspitze, keine taugliche Alternative.


Sollte sich die Äußerung als richtig herausstellen, wäre das Statement angesichts von 19.000 Inhaftierten, auf öffentlichen Plätzen und Straßen Erschossenen und Erhängten an Zynismus kaum zu überbieten, stellte sich ignorant gegen die seit Monate andauernden Manifestationen innerhalb wie außerhalb des Irans, käme einem arroganten Platzverweis für die Straßburger Parlamentarier gleich und verwiese in sehr direkter, brutaler Weise darauf, dass die Gesichtspunkte, die für die EU wichtig und interessant sind, eben andere sind als dem bekannten Terror des Staates gegen breite Teile der eigenen Bevölkerung effektiv etwas entgegen zu setzen. Offensichtlich haben weder der Westen noch der Osten ein Interesse an einem Regimewechsel im Iran, wie auch der Redaktionsleiter des deutschsprachigen Onlinemagazins Iran Journal, Farhad Payar in einem Beitrag für Zeit-Online herausstellt (17.01.23). Das gilt vor allem für wichtige Repräsentanten „Kerneuropas“ – Frankreich, Deutschland, aber auch Belgien.


Seit Wochen und Monaten weigern sich Baerbock, Macron, Scholz, Borrell etc., harte Sanktionierungen gegen die Elite der Islamischen Republik – zu der vor allem auch die IRGC gehören – vorzunehmen, da dann ein Bruch mit dem Regime notwendig unvermeidbar wäre und man letztgültig auf den Erfolg der Revolution im Iran setzen würde. Dazu sind sie nicht bereit. Offenbar steht zu viel auf dem Spiel: Deutschland hat das Handelsvolumen mit dem Iran trotz der bestehenden Sanktionen, trotz der militärischen Oppression dort, trotz des Krieges gegen Russland noch vergrößern können, das diplomatische Mantra „Wandel durch Annäherung“ mittels der Öffnung des Irans für Geschäft gilt eingestandenermaßen zwar als gescheitert, am praktischen Standpunkt dazu hat sich bis dato aber trotz bisheriger Sanktionen nur sehr relativ bis gar nichts geändert. Frankreich hat mit Elf Aquitaine einen großen Konzern, der enorme Geschäfte im Iran macht. Borrell kalkuliert offenbar mit einem geopolitischen Geländegewinn für Europa, wenn es den Deal mit dem Iran hinbekommt.


Das alles mögen nur Gesichtspunkte sein, die einer Listung der Revolutionsgarden entgegenstehen – eine offene Erklärung, die auf Argumente setzt und sich Einwänden stellt, ist weder vom Außenministerium, dem Kanzleramt, dem französischen Präsidenten noch vom EU-Außenbeauftragten in Sachen des Irans zu haben. Auch abgesehen von der menschlichen Katastrophe für die Iraner*innen ist diese Haltung ohne enorme Widersprüche in Standpunkt und Durchführung selbst für die hiesige Politik nicht zu haben. (Ganze Schwärme von Beratern in Europa lassen sich davon nicht beirren.) Dazu im einzelnen die Ausführungen:


1.) In zahlreichen Verlautbarungen appellieren die Vertreter westlicher Staaten an das Iranische Regime, die inhaftierten Demonstranten nicht hinzurichten. Das Regime zeigt sich davon wenig beeindruckt: Vier junge Männer sind – neben den im Verborgenen stattfindenden Exekutionen – öffentlichkeitswirksam gehängt worden, jüngst der britisch-iranischer Doppelstaatsbürger, Alireza Akbari, der hingerichtet wurde. Zeitpunkt wie Durchführung der Hinrichtungen dienen dazu, Angst und Schrecken zu verbreiten, Beschuldigte wie deren Angehörige an Körper und Seele zu zermalmen und sie ins dunkle Loch der Verdammnis zu schicken. Der Künstler und Journalist Payar (Iran Journal, s.o.) lässt einen Iranischen Lehrer sprechen: „Und was, wenn unsere Justiz sich danach [der Aussetzung der Hinrichtungen] richtet? Was passiert mit den 19.000 Menschen in den Kerkern, was mit den Mördern von mehr als 600 jungen Menschen?“ (Zeit-Online, 17.01.23)


Mittlerweile weiß nahezu jede*r mit Nachrichten Vertraute, dass in den auch als „Rattenlöchern“ bezeichneten Kerkern Folter, Vergewaltigungen, Psychoterror, permanente Demütigungen stattfinden, die ausnahmslos dazu dienen, die dort Inhaftierten zu brechen, wenn nicht „wegzuschaffen“. Eltern erhalten, wenn überhaupt, oftmals erst nach Herausgabe von „Blutgeld“, welches den entsprechenden Stellen zu zahlen ist, den toten Körper der Tochter/ des Sohnes zurück; andere entsprechende Stellen haben ihn zuvor so zugerichtet, dass Spuren der Folter und Vergewaltigung an ihm aufzufinden sind. Unter Androhung, sie selbst zu vernichten, bestehen die Schergen gegenüber Angehörigen darauf, einen Grund für den Tod anzugeben, der das Ansehen von Behörden, Polizei und Milizen nicht beschädigt. Umgekehrt bekunden Vertreter des Regimes dauernd und wiederholt, wie gerecht in ihren Augen die Eliminierung von Protestierenden, auch von Teenagern sei.


2.) Alle Belastungen und Probleme, wegen derer Studenten, Schüler, Arbeiter, Händler und LKW-Fahrer streiken und protestieren, wären „durch neue Verhandlungen mit dem Regime überhaupt nicht aus der Welt geschafft: die politische Repressionen, die lähmende Korruption, die strengen Moralkodexe des islamischen Regimes, die um sich greifende Armut.“ (Payar, s.o.) Im Gegenteil: Das Regime würde dadurch gestärkt, legitimiert und erreichte damit das eigene Ziel, an Vermögenswerte, die dadurch freigesetzt würden, heranzukommen und sich ökonomisch wie politisch wieder zu festigen.


3.) Dass man eine Situation wie heute in Syrien mit Verweis auf anzunehmende Folgen für die Bevölkerung bei einer Listung der gesamten Riege der Terrorgarden an die Wand malt, ist einerseits offensichtlich heuchlerisch, schließlich ist anzunehmen, dass man vor allem um das Geschäftsvolumen des eigenen Standorts fürchtet, andererseits unwahrscheinlich, wenn man nur konsequent den westlichen Gesellschaften verbundenen Demonstranten bzw. Eliten recht geben würde. Sollte man die Garden tatsächlich praktisch zur Hölle schicken, indem Grundlage und Gelegenheit ihrer Geschäfte unterbunden würde, durchschlüge man das Netz, die Verquickung von Gewaltapparat, Herrschaftsausübung und Geschäftsgrundlage im Iran. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass man mit einem sich erneuernden Iran nicht Geschäftsvolumen verliert, sondern enorm dazugewänne. - Nachzuweisen wäre beim Verweis aus Syrien überhaupt erst, dass sich das Regime einen Kehrichthaufen schert um die zunehmende Armut im Land: Es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte dafür und die Gegenwart ist gepflastert von Beweisen für das Gegenteil (aktuellstes Beispiel: aktuelle Gaskrise, Abstellen des Gases – bei einer der größten Vorkommen der Erde; Lebensmittelpreise; Wohnungspreise; zunehmende Armut/ Arbeitslosigkeit; Selbstmordraten unter Arbeitern).


4.) Die Bestrebungen, ein neues Atomabkommen mit dem Iran verhandeln zu wollen, die neben der Gefährdung von entführten/ eingesperrten Doppelstaatsbürgern der entscheidender Grund dafür sind, dass die Revolutionsgarden nicht als Organisation gelistet werden, sind ungeeignet, den Ängsten, der Iran könne an Atombomben kommen, zu begegnen: Zu bezweifeln ist zum einen, dass die Staatsspitze tatsächlich so weit ist, Atombomben herzustellen – man darf getrost annehmen, dass kursierende Zahlen der Herzkammer der Regierungspropaganda entstammen –, zum anderen zeigt die komplette Verhandlungsgeschichte, dass von einem „verlässlichen Partner“ in Gestalt des Regimes überhaupt nicht ausgegangen werden kann – dieses hat auch die Kinderrechtskonvention der UN unterschrieben. Das Regime hält sich ausschließlich an Vereinbarungen, solange es seiner Staatsräson dient, gegenläufige Gesichtspunkte werden praktisch bekämpft, ad absurdum geführt oder ignoriert. Der Beweis des Gegenteils ist mit Verweis auf die Wirklichkeit nicht darzustellen.


5.) Geo-strategisch wäre ein vom Regime befreites Iran buchstäblich eine Erlösung: Die Bedrohung Israels als Todfeind wäre vom Tisch, ebenso Terrorakte und Bedrohungen durch die Revolutionsgarde auf der ganzen Welt; die permanenten Attacken gegen den Irak durch Bombenbeschuss und mehr wären erledigt. Der Hisbollah im Libanon würde das Geld ausgehen, der Jemen wäre womöglich zu befrieden und die aus dem Evin-Gefängnis Teherans entlassenen Eliten des Landes würden sich endlich bemühen um friedvolle Beziehungen zu den Nachbarländern, die Stabilisierung der Ökonomie - deren Zugang zum Weltenergiemarkt inklusive.


6.) Damit wäre auch die Frage nach der fehlenden Opposition/ Führung taxiert: Wie zum Teil verlogen sich die Nachfrage nach einer Opposition auch ausnimmt, wenn der Wille, die selbige im Iran zu unterstützen, vollkommen fehlt, westliche Vertreter wollen selbstredend wissen, mit wem sie es zu tun bekommen. Ihnen sei versichert: Über vierzig Jahre Gegnerschaft zum Regime hat bei Unzähligen die Bereitschaft ins Unermessliche wachsen lassen, diesem verhassten Regime endlich den Boden zu entziehen und eine Gesellschaft aufzubauen, die auf Kooperation, der Stärkung der Zivilgesellschaft, der Frauenrechte, der Verbundenheit der Provinzen miteinander, der öffentlichen Institutionen, die eine demokratische Ausrichtung haben sollen, wachsen lassen – ganze Meter in Regalen legt die Literatur und Dokumentation von iranischen Intellektuellen Zeugnis davon ab.


Vielleicht müssen sich Mächtige, die nun auch noch über die Listung der Revolutionsgarden der Islamischen Republik Iran entscheiden, in zehn Jahren mal die Frage vorlegen lassen, ob es richtig war, einen schmutzigen Deal in Fragen der atomaren Bewaffnung des Regimes verhandeln zu wollen. Vielleicht müssen sie sich auch fragen lassen, weshalb sie Hunderttausende Exil-Iraner*innen bodenlos enttäuscht haben. Am Ende zählt ja doch, was ihre Bemühungen und Anstrengungen mit dem Iran gemacht haben – hier lohnt sich durchaus ein Blick nach Syrien, seinen Bewohnern, seinen Vätern, Müttern und deren Kinder, die nicht mehr in Syrien leben, weil sie entweder tot sind, vertrieben oder weil das, was sie haben, nicht wirklich „Leben“ genannt werden kann.



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