Seit über einem Jahr wartet ein höchst umstrittener Gesetzentwurf der iranischen Regierung auf seine Ratifizierung. Das „Gesetz zur Förderung von Keuschheit und Verschleierung“ wurde nun erneut vom Parlament überarbeitet und soll bald wieder dem Wächterrat vorgelegt werden. Ein Gesetz, das alle Iraner:innen betrifft, aber von nur acht Parlamentsmitgliedern beschlossen wurde. Kritiker warnen, Frauen zeigen sich unberührt.
Von Iman Aslani
Im September 2023, ein Jahr nach dem landesweiten Aufstand im Iran, der nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im September 2022 begann, hat das iranische Parlament eine dreijährige Testphase eines höchst umstrittenen Gesetzes beschlossen. Das „Gesetz zur Förderung von Keuschheit und Verschleierung“ soll Frauen durch sehr restriktive Maßnahmen und Bestrafungen dazu zwingen, sich in der Öffentlichkeit an die im Iran gesetzlich verankerten Bekleidungsvorschriften zu halten. Durch weitere Maßnahmen wie Geschlechtertrennung soll „die Keuschheit“ der Gesellschaft bewahrt und gefördert werden.
Das genaue Gesetz wurde während der Proteste von der iranischen Justiz erarbeitet. Es wurde dann von der Regierung überarbeitet und erweitert und als Gesetzentwurf zur Beratung dem Parlament zugeschickt. Das Parlament erweiterte und intensivierte die Bestrafungen noch mehr und stimmte dem Gesetzentwurf dann zu. Mit der Bestätigung des Wächterrates, der alle Parlamentsbeschlüsse im Iran ratifizieren muss, wäre das Gesetz in Kraft getreten. Doch hat der Rat an einigen weiteren Punkten Änderungen und Ergänzungen empfohlen. So wurde die Gesetzesvorlage erneut an das Parlament zurückgeschickt. Nun soll in Bälde die neue Fassung wieder dem Wächterrat vorgelegt werden. Nach Meinung von Expert:innen weicht sie nur geringfügig von der alten ab.
Das sogenannte „Gesetz zur Stärkung der Familie durch Förderung von Keuschheit und Verschleierungskultur“, kurz „Gesetz zur Förderung von Keuschheit und Verschleierung“, hat im Iran von Beginn dieses Prozesses an für enormen Unmut und massive Kritik gesorgt.
Unverhältnismäßige, gesetzeswidrige Bestrafungen
Das Gesetz zielt auf alle natürliche und juristische Personen ab, die in irgendeiner Form „Nacktheit und Unanständigkeit“ fördern oder gegen Kleidervorschriften verstoßen; dies gilt auch in der virtuellen Welt des Internets sowie in ausländischen Medien. Teilweise sind auch Minderjährige davon betroffen. Selbst bei der Herstellung von Spielzeugen und Schreibwaren soll „die Förderung der Verschleierungs- und Keuschheitskultur“ maßgebend sein. Die Einfuhr von Waren, die den Vorschriften der islamischen Hardliner nicht entsprechen, wird künftig untersagt.
Bei Verstößen gegen das neue Gesetz drohen bis zu zehn Jahren Haft, bis zu 150 Millionen Toman (umgerechnet über 2.700 Euro) Geldstrafe, Reiseverbote ins Ausland und Kündigungen im Beruf. Behörden sind angehalten worden, Personen, die gegen das neue Gesetz verstoßen, nicht wieder einzustellen. Selbst bei einer Verspottung der Zwangsverschleierung drohen 36 Millionen Toman Geldstrafe und zwei Jahre Reiseverbot ins Ausland. Für Personen mit besonderem gesellschaftlichem Ansehen beziehungsweise Einfluss fallen die Strafen härter noch aus.
Kritiker:innen halten die Maßnahmen für unverhältnismäßig und prangen die massive „Kriminalisierung“ durch das neue Gesetz an. Ein Kritikpunkt stellt Jurist:innen zufolge die Tatsache dar, dass mit dem Gesetz mitunter auch gegen diejenigen vorgegangen werden wird, die selbst nichts „verbrochen“ haben – etwa Taxifahrer:innen, deren Autos eine Zeitlang beschlagnahmt werden, weil eine Passagierin die Zwangsverschleierung missachtet hat. Das gleiche gilt für Restaurants und Cafés, die aus ähnlichen Gründen geschlossen werden können sollen.
Die große Kritikwelle und auch Gegenstimmen innerhalb des Parlaments auf der einen Seite und die fehlenden überzeugenden Argumente der Gesetzesinitiatoren auf der anderen führten den Gesetzentwurf letzten Endes in ein Sonderverfahren. Demnach darf das iranische Parlament Gesetzentwürfe innerhalb einer 15-köpfigen Kommission beraten und dort auch mit einer einfachen Mehrheit beschließen. Solche Beschlüsse müssen sich – nach der Ratifizierung des Wächterrates – allerdings in einer Testphase bewähren. Eine zeitliche Begrenzung der Testphase muss jedoch nicht zwangsläufig festgelegt werden.
Acht Kommissionsmitglieder entschieden sich für die Gesetzesvorlage und bestimmten somit über die Durchsetzung der Bekleidungsvorschriften für alle Frauen im Iran.
Werbung für islamische Puppen in den iranischen Medien
Ein soziales Pulverfass
In den sozialen Netzwerken wird die Gesetzesvorlage als Affront gegenüber einem beachtlichen Bevölkerungsanteil wahrgenommen, der seit dem Tod von Jina Mahsa Amini landesweit für Freiheit und das Recht auf freie Kleidungswahl protestiert. Viele Kritiker:innen erwarten massiven Widerstand und warnen vor sozialen Konflikten, sollte die Vorlage vom Wächterrat ratifiziert werden. Soziolog:innen und Jurist:innen kritisieren zudem die unklaren Grenzen der „Keuschheit“ und des „Hidschab“. Jina Mahsa Amini etwa trug einen dunklen langen und weiten Mantel und ein schwarzes Kopftuch. Sie wurde trotzdem von der sogenannten „Sittenpolizei“ festgenommen.
Hinzu kommt, dass die Zwangsverschleierung selbst unter den islamischen Rechtsgelehrten umstritten ist. Viele von ihnen lehnen diese ab. Mit dem Gesetz werde die Islamische Republik außerdem gegen das wichtigste internationale Menschenrechtsinstrumentarium für Kinder verstoßen, also das internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes, stellte Reza Shafakhah, Leiter des Kinderrechtsausschusses des Landesverbands der iranischen Rechtsanwält:innen Ende September fest. Zu dessen Einhaltung hat sich das iranische Regime vor drei Jahrzehnten verpflichtet. Mädchen im Iran werden schon jetzt mit sieben Jahren – bei der Einschulung – zur Einhaltung der islamischen Kleidervorschriften gezwungen.
Auch in konservativen Kreisen reißt die Kritik nicht ab. „Im Bereich Kultur kann man mit Zwangsmaßnahmen nichts erreichen“, schrieb die konservative Tageszeitung „Jomhuri Islami“ am 4. Oktober. Das Gesetz werde das Problem deshalb nicht lösen, sondern das Gegenteil bewirken, prognostizierte die Zeitung weiter.
Währenddessen gehen viele Iranerinnen, ungeachtet der restriktiven Maßnahmen des islamistischen Regimes, ihren eigenen Weg. Das Ablegen des Kopftuches in der Öffentlichkeit ist in vielen Großstädten keine Seltenheit mehr, wie Bilder und Videos im Internet zeigen. Täglich berichten Frauen in den sozialen Netzwerken von ihren Erfahrungen dabei. In Videos, die in den vergangenen Monaten veröffentlicht wurden, ist zu sehen, dass viele Iranerinnen ihre Entscheidung gegen die Zwangsverschleierung kompromisslos verteidigen – auch gegenüber gewalttätigen Gegner:innen.
Das Schicksal und die Wirkung des „Gesetzes zur Förderung von Keuschheit und Verschleierung“ bleiben somit abzuwarten. Die Fronten sind verhärtet. Der bekannte Journalist und Sozialforscher Abbas Abdi aus dem sogenannten reformistischen Lager warnte Ende September, das gewünschte Ziel könnten die Initiatoren „nur mit direktem Schuss mit scharfer Munition erreichen“.♦
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des IranJournal
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