Die Protestbewegung gegen das theokratisch-diktatorische Regime in Iran setzt sich auf der Bühne der Handball-WM 2023 fort. Der Unterdrückungsapparat der Mullahs tritt auch in den WM-Arenen in Erscheinung.
Die massive Protestbewegung der Menschen im Iran gegen die autoritäre Staatsführung dauert mittlerweile seit mehr als vier Monaten an und die Staatsgewalt geht weiterhin brutal gegen Protestierende vor. Besonders auffällig ist dabei, dass auch im Ausland stattfindende Sympathiebekundungen für die Proteste ins Visier der Handlager der Mullahs, der islamischen Rechts- und Religionsgelehrten, die den Iran regieren, gelangt sind.
Wenige Wochen nach der Fußball-WM 2022 ist die Handball-WM 2023 in Polen und Schweden die nächste international bedeutende Sportbühne, auf der der weltweite Unmut über das menschenverachtende Vorgehen der theokratischen Herrscher gegen die eigene Bevölkerung sichtbar wird.
Doch auch im Hinblick auf die Handball-WM haben die Machthaber im Iran offenbar nichts dem Zufall überlassen und gehen aggressiv gegen regimekritische Fans in den WM-Arenen vor. Unter den Angehörigen der iranischen Handball-Delegation für die WM sind auch "Sittenwächter", die vom iranischen Staat entsandt worden sind.
Offiziell sind sie als Mannschaftsbetreuer akkreditiert, ihre "Betreuungsarbeit" dient jedoch nicht den sportlichen Belangen des Teams. Die "Sittenwächter", die im Auftrag des Informationsministeriums der Islamischen Republik die Nationalmannschaft des Landes bei der WM begleiten, überwachen nicht nur das Verhalten der Nationalspieler sehr streng, sondern observieren während der Wettkämpfe mit ihrer "Tarnung" auch die Umgebung des Nationalteams, einschließlich der in der Arena anwesenden Zuschauer.
Aggressives Vorgehen gegen Fans
Vorfälle im Rahmen des WM-Spiels Iran gegen Montenegro belegen, dass die "Mannschaftsbetreuer" auch Zuschauer in der Arena attackieren und sie an der Ausübung der Meinungsfreiheit hindern wollen. Während die iranischen Handballer auf dem Parkett spielten, lief ein "Sittenwächter" auf eine iranische Zuschauerin in der Halle zu, die sitzend auf der Haupttribüne ein Plakat mit der Aufschrift "Women, Life, Freedom" ("Frauen, Leben, Freiheit") hochhielt und stieß ihr das Banner mehrfach aus der Hand.
Der Slogan "Women, Life, Freedom" steht für die insbesondere von Frauen getragene Freiheitsbewegung in Iran und den Widerstand gegen die Mullahs. Der Vorfall rief umgehend große Empörung unter den Anwesenden in der Tauron-Arena in Krakau hervor. In der Nähe sitzende Zuschauer sprangen der attackierten Frau zur Seite und unterstützten sie bei der Auseinandersetzung.
Wie die DW anschließend beobachten konnte, telefonierte der "Sittenwächter" umgehend mit dem ebenfalls in der Arena sitzenden Präsidenten des iranischen Handballverbandes, Alireza Pakdel, und berichtete ihm von der misslungenen Aktion zur Entfernung des Plakats.
Mitsingen der Hymne
Der DW vorliegenden Informationen aus Quellen, die nicht genannt werden möchten, zufolge solidarisiert sich nahezu der komplette Kader der iranischen Handball-Nationalmannschaft mit der Protestbewegung gegen die totalitäre Staatsführung.
Wie schon bei der Fußball-WM in Katar polarisiert auch bei der Handball-WM die Frage nach dem Mitsingen der Hymne der Islamischen Republik durch die iranischen Sportler. Laut Text der Hymne "möge die Islamische Republik dauerhaft Bestand haben." Daher erkennt ein Großteil der mehrheitlich nach Freiheit, Demokratie und Säkularismus strebenden Iranerinnen und Iraner diese Hymne nicht mehr als seine Nationalhymne an.
Vor den bisherigen Begegnungen in der WM-Gruppenphase haben jedoch fast alle iranischen Spieler die Hymne der Islamischen Republik mitgesungen. Die unter enormem Druck stehenden Sportler befürchten mutmaßlich drastische Konsequenzen im Falle einer Nichtbeteiligung am Singen der Hymne.
Als Strafmaßnahme seitens des Mullah-Staates könnten zum Beispiel finanzielle Mittel der Profi-Sportler im Iran eingefroren werden. Auch der Entzug des Reisepasses für die Dauer des Turniers könnte protestierenden Spielern drohen. Zudem wäre mit Ausreisesperren nach der Rückkehr in den Iran und staatlich gesteuerten Belästigungen des familiären Umfelds zu rechnen. Doch ein iranischer Spieler boykottiert das Singen: Pouya Norouzinezhad ist als Spielmacher ein Schlüsselspieler der iranischen Handball-Nationalmannschaft und der bislang Einzige, der die Hymne nicht mitsingt.
Norouzinezhad steht beim deutschen Zweitligisten VfL Eintracht Hagen unter Vertrag und spielte zuvor in der Bundesliga unter anderem bei Frisch Auf Göppingen, dem VfL Gummersbach und dem Bergischen HC. Vermutlich ist dieser Hintergrund ausschlaggebend dafür, dass er möglicherweise nicht die gleichen Konsequenzen zu befürchten hat wie ein Spieler, der in der Heimat spielt.
Doch welche Bedeutung hat sein "Hymnen-Protest"? Im Gespräch mit der DW bezeichnet der 28-jährige Spielmacher die iranischen Handball-Nationalspieler als "sehr volksnah". Auf die Frage nach der Rolle der Handball-Nationalmannschaft bei der WM 2023 im Hinblick auf die Protestbewegung betont er: "Wir haben als Nationalspieler die Aufgabe, den Iranerinnen und Iranern während ihrer jetzigen schlimmen Situation eine Freude zu bereiten."
Historischer Erfolg und ein Traum
Für Freude bei den sportbegeisterten Menschen im Iran sorgt das erfolgreiche Auftreten des Teams, denn die Handball-Nationalmannschaft hat bei ihrer zweiten WM-Teilnahme nach 2015 bereits Historisches erreicht: Das Team hat mit dem Sieg über Chile trotz Niederlagen gegen Montenegro und Spanien erstmals den Einzug in eine WM-Hauptrunde geschafft. An diesem Mittwoch unterlag die Mannschaft dann aber gegen Slowenien mit 21:38.
Abgesehen von diesem Spiel wirkt der bisherige sportliche Erfolg beflügelnd auf Norouzinezhad: "Wir wollten in der Gruppenphase Chile schlagen und weiterkommen. Das haben wir geschafft." Das Team sei eine eingeschworene Truppe. "Der Traum kann weitergehen." Der Hagener Handballprofi hätte wahrscheinlich nichts dagegen, wenn am Ende dieses "Traums" auch ein Erfolg der Protestbewegung im Iran stehen würde.
Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Welle, Originalartikel
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