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„Ohne Rücksicht auf Verluste“

Wie beobachten IranerInnen oder Exil-IranerInnen und Iran-ExpertInnen die Proteste in Iran? Mit einem Fragebogen holen wir Stimmen ein. Diesmal: die Fotografin Mina Esfandiari, die auch Fotos aus Ihrem Werk zeigt.



Die Proteste in Iran halten seit Wochen an. Mit welchen Gefühlen oder Gedanken beobachten Sie diese aktuell?

Foto: www.minaesfandiari.com

Ich beobachte die Proteste einerseits mit Hoffnung, andererseits mit Bestürzung über die Brutalität des Regimes. Ebenso empfinde ich eine enorme Ehrfurcht vor dem Mut der protestierenden Menschen im Iran, die täglich ihr Leben auf’s Spiel setzen, um „einfach nur“ frei zu leben. Sie wollen gar nicht mehr, als ein „normales“ Leben: Mit fairen Gerichtsprozessen, Meinungs-/Religions-/Pressefreiheit, Gleichberechtigung etc. Das, was für uns in Deutschland völlig selbstverständlich ist, kann einem im Iran das Leben kosten. Ich glaube, es sagt einiges aus, unter wieviel Druck gerade die jungen Menschen stehen müssen, wenn sie immer und immer wieder auf die Straße gehen, obwohl sie z.B. bereits im Gefängnis saßen und gefoltert/vergewaltigt wurden. Sie riskieren jeden Tag, dass sich das wiederholt und im schlimmsten Fall die Todesstrafe droht (ohne Prozess, ohne Anwalt). Es scheint für viele aber nur den Weg nach vorne zu geben. Diese Stärke bewundere ich zutiefst.

Haben Sie direkte Kontakte zur Bevölkerung in Iran? Falls ja: Was hören oder lesen Sie dort? Die meisten Menschen, die ich auf meinen Reisen in den Iran (privat und für meine Fotoprojekte) getroffen habe, leben mittlerweile im Ausland. Die wenigen, die geblieben sind und sich aktiv gegen das Regime engagieren, geben mir den Eindruck, dass sie bis zum Schluss kämpfen werden. Bis endlich Freiheit herrscht. Ohne Rücksicht auf Verluste. Andererseits höre ich, wie sehr sich die protestierenden Menschen im Iran dadurch unterstützt fühlen, wenn der Westen hinschaut. Der Hashtag #betheirvoice und #saytheirnames wirkt. Das ist auch der Grund, warum ich z.B. bei diesem Interview mitmache oder seit Beginn der Proteste wieder angefangen habe, Bilder von meinen Iran-Fotoprojekten zu posten. Und ich kann nur alle dazu auffordern: Sorgt hier im Ausland weiter für Aufmerksamkeit! Lasst uns unsere Stimme nutzen, um das Regime und unserer Regierungen unter Druck zu setzen.


Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? In welcher Phase sind die Proteste? Mir fällt es schwer, eine kompetente Analyse/Prognose zu machen. Fakt ist aber schon mal, dass die aktuellen Proteste sich von denen davor unterscheiden: Sie sind landesweit – in Städten und auf dem Land; sie gehen durch alle Gesellschaftsschichten; sie halten so lange an, wie noch nie; sie werden sowohl von Frauen, als auch von Männern getragen. Das alles lässt darauf hoffen, dass auch der Ausgang der Proteste anders sein könnte. Man hat schon an einigen Ecken gemerkt, dass das Regime sich sehr wohl vom Westen unter Druck setzen lässt. So wurden z.B. politische Gefangene (zumindest auf Bewährung) frei gelassen und Todesurteile vertragt. Ich befürchte aber, dass der Sturz des Regimes noch in Ferne ist. Dafür braucht es Geduld und Durchhaltevermögen. Damit meine ich auch vor allem den Westen. Es gab ja bereits Teilerfolge, was die Sanktionierungen betrifft, aber leider muss da noch mehr passieren, um das Regime wirklich unter Druck zu setzen, z.B. muss die Revolutionsgarde unbedingt auf die Terrorliste gesetzt werden.


Anders als viele andere große Proteste und Revolutionen geht diese auf den Aufstand von Frauen zurück. Was macht die feministische Revolution so besonders? Der Titel von Golineh Atai Buch „Die Freiheit ist weiblich“ bringt es auf den Punkt: Gerade durch die starke Unterdrückung der Frau in der iranischen Gesellschaft liegt auch gerade in das Potenzial, die Freiheitsbewegung mit so viel Mut, Inbrunst, Stärke und Kompromisslosigkeit durchzusetzen. Die Frauen im Iran haben schlicht und einfach keine andere Wahl. Der Leidensdruck macht sie unverwüstlich und damit enorm gefährlich für das Regime. Das strahlt nach außen – die von Frauen ausgehenden Proteste haben die Männer mitgerissen. Denn es geht ja nicht in erster Linie „nur“ um den Kopftuchzwang, sondern um die allgemeine Freiheit – das betrifft alle, auch die Männer.


Hierzulande – in Deutschland als auch anderen westlichen Ländern – wird das Thema in den Medien überlagert von anderen Themen wie dem Ukraine-Krieg. Was muss sich tun, um dies zu ändern? Es ist leider wirklich traurig, dass z.B. unser Bundeskanzler mit einer ersten Reaktion so lange auf sich warten lassen hat und in seiner Neujahrsrede nicht einmal auf das Thema Iran einging. In unseren Mainstream-Medien wird das Thema Iran auch zu selten und wenig prominent behandelt. Natürlich passiert viel in der Welt und ich möchte gar nicht, dass Themen wie der Ukraine-Krieg mit der Situation im Iran konkurrieren müssen oder dass das eine oder das andere als „wichtiger“ gesehen wird. Dennoch: Die Menschen im Iran brauchen unsere Stimme, unsere Unterstützung. Solange wir von außen für Aufmerksamkeit sorgen, fühlt sich das Regime beobachtet und unter Druck gesetzt.

Ich bin Mina Esfandiari, 37, Fotografin. Geboren und aufgewachsen als Tochter einer deutschen Mutter und eines iranischen Vaters in Hamburg, habe ich das Leben im Iran nur aus der Ferne und einigen Reisen mit bekommen. Zwischen 2007 und 2017 war ich auf mehreren fotografischen Reisen im Iran unterwegs und habe mit dem dabei entstandenen Fotomaterial u.a. beim National-Geographic-Bildband „Iran – Tausend und ein Widerspruch“ federführend mitgewirkt oder meine preisgekrönte Abschlussarbeit „miyaneh – dazwischen.“ erstellt. Die aktuelle aufwühlende Situation im Iran hat mich in den letzten Monaten dazu veranlasst, viel auf Instagram zu aktiv zu sein – einerseits durch das Teilen von Beiträgen politischer AktivistInnen, andererseits durch das Posten von Archivmaterial meiner Iran-Fotoprojekte. Ich arbeite momentan auch an einem neuen Fotoprojekt mit dem Arbeitstitel „baraye“, welches momentan noch in der Konzeptionsphase ist. (Mehr Infos gibt es in Kürze bei Instagram @minamalism).



Eine Auswahl von Mina Esfandiaris Fotos aus „Iran – Tausend und ein Widerspruch“ (National Geographic) und „miyaneh – dazwischen“



Frauen ohne Gesicht. Ich mit einer Cousine auf dem Borj-e-Milad – der höchste Fernsehturm Irans (435m) und sechsthöchste weltweit.



Frau ohne Gesicht. Dieser Grabstein auf dem Behesht-e-Zahra (Friedhof in Teheran) lässt sich abhängig von dem Kontext, aus welchem der Betrachter stammt, sehr unterschiedlich betrachten. Ich dachte zuerst, dass das Gesicht noch hinzugefügt wird, wenn die Frau gestorben ist. Eine Freundin von mir wunderte sich darüber, dass der Iran so selbstkritisch mit der Unterdrückung und „Gesichtslosigkeit“ der Frau umgehe. Und ein Mensch aus iranischem Kulturkreis wüsste: Hier ist eine Shahid abgebildet – eine Märtyrerin, die so heilig ist, dass ihr Gesicht nicht gezeigt wird.



Rauchen ziemt sich als Frau im Iran nicht. Fotokünstlerin Samaneh ist das egal. Die erste Kippe wird schon beim Frühstück angezündet.



Samanehs beste Freundin und ebenso Fotokünstlerin Sepideh tanzt nach dem Frühstück zu Queen’s „Bohemian Rhapsody“ durch das Wohnzimmer. Tanzen und singen ist für Frauen in der Öffentlichkeit verboten. Sie zitiert mit Vorliebe aus ihren Lieblingssongs und -filmen: „Your mind is the scene of the crime.“ aus Inception bekommt im Iran eine ganz spezielle Bedeutung.



Was bleibt, ist das Gesicht. Und das schmücken viele Frauen ausgiebig. Auch blond oder bunt gefärbte Haare, sowie lackierte Finger- und Fußnägel gehören dazu. Der Iran gehört außerdem weltweit zu den Ländern mit den meisten Schönheits-OPs, besonders beliebt sind Nasenkorrekturen.






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