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„Die Wut wird größer, nicht die Angst“

Wie beobachten IranerInnen, Exil-IranerInnen oder im Westen lebende Menschen mit iranischen Wurzeln die Proteste in Iran? Mit einem Fragebogen holen wir Stimmen ein. Diesmal: Gilda Sahebi, ausgebildete Ärztin und Journalistin.



Protestierende am Keshavarz Boulevard in Teheran. Foto: Darafsh, Wikimedia, CC BY-SA 4.0


Die Proteste in Iran halten seit Wochen an. Mit welchen Gefühlen oder Gedanken beobachten Sie diese aktuell?

Die Proteste halten jetzt seit neun Wochen an und inzwischen doch auch sehr viel Sorge und auch Angst, weil das Regime extrem hart gegen die Protestierenden vorgeht und auch insgesamt Angst und Schrecken verbreitet. Wir haben Bilder gesehen, wo Menschen unbeteiligte Menschen in der U-Bahn beschossen wurden, angegriffen wurden. Das heißt, dass die Repression jetzt nicht mehr „nur“ gegen die Protestierenden richtet, sondern dass insgesamt im gesamten Land Angst und Schrecken verbreitet werden soll. Und die ersten Todesurteile wurden ausgesprochen. Man macht sich einfach Sorgen um die Anzahl der Menschen, die noch umkommen werden, inhaftiert werden, hingerichtet werden. Und trotzdem gibt es weiterhin auch Hoffnung, weil die Menschen sich nicht unterkriegen lassen von all dem Schrecken, der verbreitet wird.

Haben Sie direkte Kontakte zur Bevölkerung in Iran? Falls ja: Was hören oder lesen Sie dort?

Ich frage meine Kontakte im Iran immer wieder, wie es ihnen geht, was die Lage ist. Sie gehen auch teilweise selber protestieren. Und dort ist immer zu hören: Je stärker dieses Regime zurückschlägt und brutaler wird und Kinder tötet und Menschen zu Tode verurteilt, umso entschlossener werden wir. Die Wut wird größer, nicht die Angst. Mit allem, was dieses Regime an Grausamkeiten vollzieht, steigt die Entschlossenheit der Menschen. Das ist das, was ich sehr viel höre und auch die Verbundenheit untereinander, die Solidarität zu den KurdInnen, zu den Minderheiten allgemein. Und das durchzieht eigentlich alle Rückmeldungen, die ich bekomme.


Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein? In welcher Phase sind die Proteste?

Es ist auf jeden Fall eine sehr entscheidende Zeit gerade, weil eben die Repression noch grausamer, noch brutaler wird, als sie sowieso schon war, und das Regime alles versucht, um die Proteste niederzuschlagen. Außerdem beginnt jetzt die WM. Da wird auch die Frage sein: Wie geht die Welt mit der Situation um? Zeigt die Welt Solidarität? Das wird sehr, sehr entscheidend sein – ob man dem Regime ein Zeichen schickt von dieser WM aus oder nicht. Und deswegen ist es jetzt auf jeden Fall auch eine Phase der Organisation. Die Protestierenden sind sehr gut organisiert, die werden nicht aufgeben, sie werden weitermachen. Und nun muss man abwarten, wie es weitergeht.

Anders als viele andere große Proteste und Revolutionen geht diese unmittelbar auf den Aufstand von Frauen zurück. Was macht die feministische Revolution so besonders?

Das ist eine feministische Revolution, weil alle Menschen zusammen für die Gleichberechtigung aller Geschlechter kämpfen. Frauen sind ganz vorne dabei. Das höre ich auch immer wieder aus dem Iran, dass bei allen Protesten die Menschen auch auf die Frauen gucken, dass sie Führungsrollen einnehmen, dass sie Stärke zeigen und dass aber eben alle zusammen kämpfen: nicht nur die Frauen für sich selber, sondern alle Geschlechter, Männer, Frauen, die LGBTQ-Community – sie alle kämpfen zusammen für die Befreiung der Frau und die Befreiung aller Geschlechter. Und deswegen ist diese feministische Revolution so revolutionär, weil sie von allen Menschen getragen wird.

Hierzulande – in Deutschland als auch anderen westlichen Ländern – wird das Thema in den Medien überlagert von anderen Themen wie dem Ukraine-Krieg. Was muss sich tun, um dies zu ändern?

Das ist leider sehr oft so mit so genannten „Auslandsthemen“. Das Bild, das in den Medien suggeriert wird, ist eines, das sagt: Das ist weit weg und das geht uns nichts an. Dieses Bild muss sich ändern: zu glauben, dass die Proteste im Iran, dass die Revolution im Iran uns weniger angingen oder nicht so bedeutsam seien, weil sie nicht so nah sei und auch die Region des so genannten Nahen Ostens betrifft. Ich nehme aber schon auch langsam einen veränderten Blick wahr: dass gesehen wird, dass wir in einer interdependenten Welt leben, dass der Ukraine- Krieg und die Iran-Revolution sehr wohl miteinander zu tun haben, verbunden sind, und zwar über die iranischen Drohnen hinaus, die an Russland geliefert werden. Und diese Interdependenzen, diese Verbindungen muss man einfach immer wieder aufzeigen und nachzeichnen, was verschiedene Geschehnisse, Ereignisse, Konflikte in anderen Teilen der Welt mit uns zu tun haben. Aber der Blick in Deutschland ist leider manchmal von einer sehr westzentrischen Perspektive geprägt. Und das muss man aufbrechen.

Was ist Ihre Prognose: In welche Richtung wird sich Iran bzw wird sich der Aufstand in den kommenden Monaten entwickeln?

Das ist schwer zu sagen, wie sich die Revolution, wie sich die Proteste entwickeln werden. Bei einem bin ich mir aber sicher: dass sie nicht aufhören werden, dass die Menschen nicht mehr zurückgehen in diesen Zustand der erzwungenen Unterwürfigkeit. Der absolute Großteil der Menschen hat gebrochen mit dem Regime. Und es wird auch von der Reaktion der internationalen Gemeinschaft abhängen, wie es weitergeht. Es wird davon abhängen, wie brutal dieses Regime weiterhin vorgeht. Deswegen ist es schwer, Prognosen zu treffen. Aber aufhören werden die Menschen nicht.


Gilda Sahebi ist ausgebildete Ärztin und studierte Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Rassismus, Frauenrechte, Naher Osten und Wissenschaft. Ihre journalistische Ausbildung absolvierte sie beim Bayerischen Rundfunk. Nach ihrem Volontariat war sie Autorin und Redakteurin für die ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“. Anschließend arbeitete sie als Projektleiterin des „No Hate Speech Movement“ bei den Neuen deutschen Medienmacher*innen. Sie ist Autorin für die taz und arbeitet unter anderem für die ARD.



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