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„Deutschland ist der treueste Partner der Mullahs“


Aras-Nathan Keul

Aras-Nathan Keul arbeitet im politischen Berlin und hat sich auf Deutschlands Rolle im Nahen Osten spezialisiert. Der deutsch-iranische Wissenschaftler (32) ist seit dem Mord an Jina Mahsa Amini zu einer der lautesten Stimmen der Diaspora geworden. Wir haben mit ihm gesprochen.


Wenn Du Dir die Worte von Außenministerin Baerbock der feministischen Außenpolitik vor Augen führst, was denkst Du in Bezug auf die seit Monaten andauernden Bewegungen im Iran?

Die Revolution im Iran ist eine riesengroße Chance – weil dort gerade Frauen eine so große Rolle spielen. Das gab es in der Form im Nahen Osten noch nie, dass Frauen eine revolutionäre Bewegung anführen und damit aber eine ganze Gesellschaft mitziehen. Das hat Vorbildcharakter und ist unterstützenswert. An Frau Baerbocks eigenem Anspruch gemessen, ist da bisher jedoch noch viel zu wenig geschehen. Es verlangt niemand, dass der Westen in den Iran einmarschiert – das wird auch nicht geschehen. Was wir verlangen, ist, dass Deutschland und die Europäische Union aufhören, auf das iranische Regime zu setzen und stattdessen die Menschen im Land unterstützen.


„Der Weg des Atomabkommens JCPoA ist gescheitert“

Die Abstimmung im Europäischen Parlament kann ein starkes Signal sein. Aber EU-Außenminister Borell hat in seiner Rede bereits klar gemacht, warum es keine Änderung geben wird – in der deutschen, wie auch in der europäischen Iran-Politik: Das Atomabkommen JCPoA wird als einziger Weg gesehen, mit dem Regime umzugehen. Dieser Weg ist aber gescheitert: Wir sehen, dass die Islamische Republik ihre Bevölkerung systematisch unterdrückt, foltert und ermordet, kurz vor dem Bau einer Atombombe steht und im gesamten Nahen Osten Krieg und Terrorismus fördert – übrigens auch in Russland, das es mit Drohnen für seinen illegalen Krieg gegen die Ukraine ausstattet. Das alles hat das Atomabkommen erst ermöglicht – das muss die EU sich eingestehen und daher dringend eine Alternative zum JCPoA präsentieren und eine neue Iran-Politik formulieren.


Wirkt das Atomabkommen im Zuge der Proteste und brutalen Repressionen des Regimes nicht etwas scheinheilig?

Die deutsche und europäische Außenpolitik begeht den Denkfehler, die Themen atomare Bedrohung und die Lage im Land separat behandeln zu wollen. Doch der Ursprung sowohl der Atombombe als auch der Unterdrückung der Bevölkerung ist eins: die aggressive Ideologie des Regimes. Und zugleich ist die Lösung für genau diese Probleme eins: der Erfolg der Revolution. Ein freier und demokratischer Iran würde keinen Terror mehr fördern, sondern wäre ein zuverlässiger Stabilitätsanker in einer konfliktreichen Region.


„Für das Auswärtige Amt bedeutet Diktatur Stabilität“

Wie würdest Du den Kurs der deutschen Iran-Politik seit Bestehen der Islamischen Republik Iran generell beschreiben?

Für das Auswärtige Amt bedeutet Diktatur Stabilität. Das ist ein grundsätzliches Problem – und in Bezug auf den Iran wird das noch etwas deutlicher: Seit 43 Jahren wird alles versucht, um mit einem Regime einen Dialog zu führen, das tatsächlich aber gar kein Interesse an einem Dialog hat, sondern nur seine Ideologie durchsetzen will. Das sehen wir daran, dass in Deutschland das Islamische Zentrum Hamburg bis heute existiert, das im Grunde ein geduldeter verlängerter Arm des Regimes in Deutschland ist. Deutschland ist bisher der treueste Partner der Mullahs in Europa, vielleicht sogar in der gesamten westlichen Welt.


Wie kann es sein, dass man an einem Regime so festhält, das man selbst als brutale, menschenverachtende Diktatur bezeichnet?

Man hat entgegen der Faktenlage immer geglaubt, das Regime durch Dialog und Handel zu internen Reformen zu bringen. Das ist der gleiche Ansatz – und Fehler –, den man mit Russland auch gemacht hat und noch immer mit China macht. Dieser Kurs ist gescheitert, wie wir alle am 24. Februar 2022 gesehen haben, als Russland die Ukraine angegriffen hat. Im Falle des Iran gibt es diese Einsicht aber nicht – und damit auch kein echtes Umdenken. Das ist nicht Baerbock allein, das sind Beamte im Auswärtigen Amt und in Europa, die das Atomabkommen mit verhandelt haben und aus dem Scheitern keine Konsequenzen ziehen.


„Bundeskanzler Olaf Scholz und das Auswärtige Amt setzen nicht auf den Erfolg der Revolution“

Warum will man nicht aus dem Fehler im Umgang mit Russland lernen?

Bei der Ukraine gibt es eine europäische und transatlantische Übereinstimmung, die Ukraine zu unterstützen – begründet mit Krieg in Europa. Das ist beim Thema Iran anders, und Bundeskanzler Olaf Scholz und das Auswärtige Amt setzen nicht auf den Erfolg der Revolution in Iran. Sie interessieren sich allem Anschein nach mehr für das Aufrechterhalten der Beziehungen, wie sie die letzten 43 Jahre waren.


Wiegen Wirtschaftsinteressen also mehr als Menschenrechte?

Das entscheidende Interesse ist die Stabilität in Iran und in der Region. Doch dabei sorgt das iranische Regime überhaupt nicht für Stabilität, sondern im Gegenteil für Instabilität in der Region und weltweit, indem die Revolutionsgarde Kriege und Terrorismus im Libanon, im Jemen, in Gaza, in Syrien oder auch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine fördert. Es hat sich gezeigt: Das Islamische Regime im Iran ist der Feind aller Menschen, die in Frieden leben wollen.


„Dass wir in Deutschland und der EU an den Mördern dieser mutigen Menschen festhalten, ist einfach nur beschämend.“

Was würde ein freier, demokratischer Iran für die Region bedeuten?

Der Erfolg der Revolution in Iran ist auch in unserem deutschen Interesse. Ein freier, demokratischer Iran wäre ein neuer stabiler und zuverlässiger Partner für Deutschland und Europa. Darüber hinaus hätte der Erfolg der Selbst-Befreiung aus der Diktatur eine Wirkung und einen Spill-Over-Effekt für die gesamte Region. Die Selbst-Befreiung des Iran kann ein Vorbild nicht nur für die Islamische Welt, sondern für den ganzen Nahen Osten und auch den Rest der Welt sein. Weltweit schauen Frauen, Homosexuelle und ethnische Minderheiten, die unterdrückt werden, hoffnungsvoll auf diese Revolution. Dass wir in Deutschland und der EU so zögerlich sind und an den Mördern dieser mutigen Menschen festhalten, ist einfach nur beschämend.


Glaubst Du, die Bewegung schafft es auch ohne Unterstützung aus dem Westen?

Der Geist ist aus der Flasche und nicht mehr einzufangen. Die Menschen, die im Iran auf die Straße gehen, wollen keine Reformen und keine Zugeständnisse mehr. Sie wollen ein neues politisches System, Freiheit und Demokratie. Dafür brauchen sie keine Einmischungen von außen, sondern nur, dass wir die bestehende Einmischung von außen – also die Unterstützung der Islamischen Republik – beenden.


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