Westliche Medien reproduzieren oft das Bild der unterdrückten iranischen Frau. Dies schadet all jenen Frauen im Iran, die sich seit Jahrzehnten trotz Verfolgung und großer Risiken für ihre Freiheit und Rechte einsetzen.
Vor 28 Jahren, am 21. Februar 1994, zündete sich eine Frau auf Teherans größtem Platz Tajrish an und starb. Homa Darabi, Ärztin, Dozentin und Aktivistin, wurde kurz nach dem Sieg der iranischen Revolution im Jahr 1979 von all ihren Posten entlassen. Ihre Praxis wurde geschlossen. Warum? Sie hatte sich dem obligatorischen Tragen eines Hijab widersetzt. Sahar Khodayari, ein junges Mädchen, Fan der Fußball Mannschaft Esteghlal Teheran, steckte sich 2019 selbst in Brand und starb. Ihr stand eine sechsmonatige Haftstrafe bevor, weil sie ein Spiel ihres Lieblingsteams gesehen hatte, was für Frauen im Iran nicht erlaubt ist. Die in Frankreich lebende Soziologin Shahla Shafigh, sagt, dass es im Persischen einen an Frauen gerichteten Satz gibt, der metaphorisch besagt: brenne und trage dein Leid in dich selbst. Jetzt sagen Iranerinnen: Ich brenne und mache mein Leid öffentlich.
Proteste gegen das neue Regime
Schon in den ersten Tagen der Islamischen Revolution im Iran erklärte man den Frauen den Krieg. Weniger als einen Monat nach dem Sieg der Revolution im Jahr 1979 betonte der Oberste Führer der Revolution, Ayatollah Khomeini, in einer Rede, dass es für Frauen notwendig sei, den Hijab zu tragen, insbesondere am Arbeitsplatz. Viele der vom ehemaligen Machthaber König Mohammad Reza Shah Pahlavi erlassenen Gesetze zur Verbesserung der Frauenrechte, welche vor allem die Bereiche Scheidung und Ehe betrafen, so war zum Beispiel ein höheres Mindestheiratsalter vereinbart, hoben die neuen Machthaber bereits in den ersten Tagen der Revolution auf. Die ersten großangelegten Proteste in der Geschichte der neuen Islamischen Republik fanden unverzüglich statt. Bereits am 8. März 1979 gingen viele Frauen auf die Straße, um gegen das frauenfeindliche Vorgehen der neuen iranischen Regierung zu protestieren. Nachdem Khomeini am 3. Juli 1980 angewiesen hatte, dass alle Ministerien darauf zu achten hätten, dass sich Frauen islamisch kleideten, gab es landesweite Proteste.
Die „Sittenpolizei“
Die Proteste wurden niedergeschlagen. Infolgedessen war Frauen ohne Hijab der Zutritt zu ihren Arbeitsplätzen untersagt. Lehrerinnen, Universitätsprofessorinnen, Ärztinnen, Radio- und Fernsehsprecherinnen und Regierungsangestellte, die zur Arbeit gingen, wurden kontrolliert. Trugen sie keinen Hijab, durften sie ihren Arbeitsplatz nicht betreten. Die Kontrolleur*innen, meistens selbst Frauen in schwarzem Tschador, spielen bis heute eine wichtige Rolle im politischen und gesellschaftlichen System des Iran. Sie organisieren sich in der sogenannten „Sittenpolizei“, die in allen Abteilungen des öffentlichen Diensts wie Universitäten, Schulen oder Flughäfen und auf den Straßen aktiv ist, um Frauen, die ihren Hijab nicht richtig tragen, zu (ver-)warnen. Immer öfter werden Frauen gewaltsam festgenommen und eingesperrt.
Die Hinrichtung von Farrochru Parsa
Die Hinrichtung der Frauenrechtlerin Farrochru Parsa markierte den Höhepunkt der Feindschaft der iranischen Revolution gegenüber Frauen. Parsa war vor dem Machtwechsel Bildungsministerin gewesen. Zurzeit der Iranischen Revolution hielt sie keine Regierungspositionen mehr inne. Ihre Mutter war eine der ersten Journalistinnen des Irans gewesen und gehörte in den 1920er-Jahren zu einer der wichtigsten Frauenrechtsaktivistinnen des Landes. Parsa, die auf ihrem letzten Foto vor dem Revolutionsgericht mit Kopftuch zu sehen ist, wurde innerhalb weniger Stunden vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Das Gericht beschuldigte sie, „Korruption auf Erden“ zu verbreiten. Sie wurde am 8. Mai 1980 hingerichtet. Während der Hinrichtung riss das Seil, weshalb man sie mit drei Schüssen tötete.
Für ihre Freiheit mussten sie selbst kämpfen
Ende der 1990er-Jahre und während der Amtszeit von Präsident Khatami gab es für die iranischen Frauen Anlass zur Hoffnung. Khatami kündigte Verbesserungen an und versprach, Frauen neue Freiheiten zu gewähren.
In der westlichen Welt verbreitete sich vor allem in den vergangenen Jahren ein Bild von Iranerinnen, die bunte, stilvolle und offene Kleidung tragen. Viele nahmen dies als Zeichen des Wandels in der politischen Landschaft wahr. Doch in all den Jahren haben iranische Frauen für jeden Zentimeter gekämpft, den ihr Kopftuch weiter nach hinten rutschten durfte. Sie haben für jeden kleinen Schritt einen hohen Preis bezahlt und für ihre Freiheiten protestiert, die ihnen niemand gewährt hat.
Der Höhepunkt der gegenwärtigen iranischen sozialen und politischen Frauenbewegung fand am 27. Dezember 2017 statt. Der Tag, an dem Vida Movahed, eine junge Mutter in Sportkleidung, auf einen Stromkasten in der Enghelab-Straße stieg und ihr Kopftuch aus Protest an einen Stock band. Andere Frauen folgten ihr, kletterten auf Strommasten und lösten die Bewegung der „Frauen der Revolutionstraße“ aus. Die meisten von ihnen wurden von der Regierung verhaftet, zu langen Gefängnisstrafen verurteilt und gezwungen, den Iran zu verlassen. Das Schicksal von Vida Movahed ist bis heute unbekannt.
Das Problem der westlichen Politikerinnen
Die neuen Herausforderungen für iranische Frauen sind jedoch nicht nur die antifeministischen Gesetze und deren eingeschränkten Freiheiten, sondern auch westliche Politikerinnen. Wenn diese in den Iran reisen, tragen sie nicht die Kleidung und Kopftücher, die der Großteil der iranischen Frauen trägt. Sie tragen die Kleidung von Frauen, die der iranischen Regierung nahestehen. Die in New York lebende Journalistin und Aktivistin Masih Alinejad fragte im November 2021 die schwedische Außenministerin Ann Linde: „Warum ist nur für westliche Frauen ‚My Body My Choice‘ wichtig und nicht für Frauen im Nahen Osten und in Ländern wie dem Iran? Sie, die der iranischen Regierung im Hijab begegnen, sind Sie sich bewusst, dass Sie diese Politiker nur legitimieren, mehr Frauen zu unterdrücken und vor allem dabei iranischen Frauen einen Dolch ins Herz stoßen?“
Damit meint sie auch Frauen wie Saba Kord Afshari, eine Iranerin, die im Alter von 21 Jahren wegen Widerstands gegen die Zwangsverschleierung zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Sie verbüßt derzeit ihre Strafe im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis.
Die Autorin: Faranak Rafiei ist 1978 in Teheran geboren und lebt seit 1998 in Köln. Sie studierte dort Medienwissenschaft und Sprachen und Kulturen der islamischen Welt. Sie arbeitet zu Frauenrechten im Iran.
Quellen:
Esfandiari, Haleh: Reconstructed Lives. Woman and Iran‘s Islamic Revolution, Washington, D.C.1997. Sanasarian, Eliz: The Woman‘s Rights Movement in Iran. Mutiny, Appeasement, and Repression from 1900 to Khomeini, New York 1982. Katz, Eliora/Maloney, Suzanne: „Girls of Revolution Street. Iranian Woman since 1979“, in: Maloney, Suzanne (Hg.): The Iranian Revolution at Forty. Washington, D.C. 2020. Ghiasi, Saghar: واکنش فعالان حقوق زنان به مبارزه با حجاب اجباری: از آزادیهای یواشکی تا دختران خیابان انقلاب (Reaktionen von Frauenrechtlerinnen auf den Kampf gegen die Zwangsverschleierung), Dezember 2018, https://www.radiozamaneh.com/426213/ (zuletzt abgerufen am 21.02.2022). Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Saba Kordafshari, https://www.igfm.de/saba-kord-afshari/ (zuletzt abgerufen am 21.02.2022). Abdorrahman Boroumand Center, For Human Rights in Iran, Farrokhru Parsa, https://www.iranrights.org/memorial/story/34914/farrokhru-parsa (zuletzt abgerufen am 21.02.2022). Masih Alinejads Frage an die schwedische Außenministerin Ann Linde, https://twitter.com/alinejadmasih/status/1464362655746035713
Text: Faranak Rafiei, Goethe-Institut. Dieser Text ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland
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